San Myshuno Nr. 8 - Villa Långstrump

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11.04.2023 18:16 (zuletzt bearbeitet: 17.02.2024 18:24)
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11.04.2023 18:19 (zuletzt bearbeitet: 09.01.2024 11:24)
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Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter Långstrump – kurz Lotta wie Pippilotta oder je nach Bedarf auch Viktualia oder Krusmynta – zieht gerade mal wieder ein paar Schrauben und Ventile an den schon etwas maroden Sanitäranlagen fest. Takatuka hält ein kleines Mittagsschläfchen. Böser Wolf döst neben dem ruhenden Kind, immer eines seiner wachsamen gelben Augen auf das kleine, sonst quirlige Geschöpf gerichtet.




Vor etwa acht Wochen hatte es Pippilotta und Tochter Takatuka an diese Gestade verschlagen. Das geborstene Schiff sank auf den Grund des Hafenbeckens. Genau gezählt hatte Pippilotta die Tage seitdem nicht. Mit letzter Kraft konnte sie beide ans rettende Ufer hieven. Die ersten Tage dienten rein dem nackten Überleben. Sie versteckten sich zunächst in dem nächstliegenden Gestrüpp eines verwilderten Gärtchens, gleich hier unten an den versifften, nebligen Docks. Mit Fisch aus der stinkenden Brühe hielt Pippilotta beider Leben aufrecht, selbst das von Böser Wolf, der sich der übrig gebliebenen Fischhäute und Gräten annahm. Auch jetzt noch ist Fisch ihr Grundnahrungsmittel, eine schnell an den Docks zu beschaffende Mahlzeit, wenn man nicht von den finsteren, im Hafenareal umherschweifenden Gestalten bedrängt wird.

An friedlichen Abenden schweift Pippilottas Blick oft beim Angeln sehnsüchtig über den Kai hinaus … der im Meer versinkenden Sonne nachsinnend. Lag dort irgendwo Takatuka?


Auch jetzt wandern ihre Gedanken, während ihre Hände mechanisch ihr Werk am Waschbecken verrichten …

…Takatuka! Der weiße Sand gleitet schmirgelnd zwischen nackten, braungebrannten Zehen hindurch. Sanfte Wellen schlagen ans Ufer. Fruchtreiche Palmen biegend sich im leicht wogenden Wind. Perlendes Gelächter weht von den Grashütten herüber. Die Luft ist erfüllt von dem Summen und Brummen unzähliger Insekten, die die vielfarbigen Blüten des Eilandes umschwirren.

Käpt'n Efraim Långstrump war nicht Inselkönig, wie Pippilotta manche Annahmen in ihrer Kindheit einfach stehen ließ. Er war langjähriger Freund und Berater des Häuptlings. Einst selbst Freibeuter (der nicht ganz so argen Sorte), erkannte er die Wohlgefälligkeit des Eilandes schnell und half fortan, andere Freibeuter - die immer wieder anlandeten, um ihre Schätze im sandigen Boden der Insel zu vergraben - zügig, dauerhaft wie unblutig aus dem tropischen Paradies zu vertreiben. Die vergrabenen Schätze dienten einzig und allein dem Auskommen seiner einzigen viel geliebten Tochter Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter Långstrump in ihrer Villa Kunterbunt. Das Mädchen erschien ihm außerordentlich stark genug, um sein junges Leben unabhängig und selbstbestimmt zu führen. Was Vater wie Tochter jedoch nicht wussten: Mit dem zwölften Lebensjahr nimmt die wundersame Stärke kontinuierlich ab, schwindet sozusagen. Zuletzt flüchtete Pippilotta aufgrund zunehmender Schwierigkeiten im dreizehnten. Lebensjahr nach Takatuka und verbrachte dort trotz schwindender Kräfte ihre besten Jahre – schließlich bescherten sie ihr ein kleines wundersames Wesen … auch Takatuka geheißen. Eigentlich verlief ihrer aller Leben traumhaft auf dem tropischen Eiland, bis … eines Tages …



Nebenan regt sich Tochter Takatuka. Pippilotta ist auch gerade mit der letzten Schraube fertig. „Hast du gut geschlafen, Spätzchen?“ Takatuka ist stets gleich wach, fröhlich und zum Spiel aufgelegt. Oft muss Böser Wolf für diverse auch derbe Spiel herhalten, der das mit Gemütsruhe über sich ergehen lässt. „Daggadugga!“ Schallt es Pippilotta heute als erstes aufgeregt entgegen. Takatuka möchte Takatuka spielen. Ihr gemeinsames Spiel in Gedenken an … Takatuka.

Die Schiffskiste aus verharztem, poliertem Eichenholz - wasserdicht auf Jahrhunderte selbst am Meeresgrunde gelegen - enthält wundervolle Schätze. Pippilotta hatte sie aus dem Hafenbecken geborgen, nachdem ihr Schiff gesunken war. Es waren keine vergleichbaren Schätze wie ihre Reisetasche mit ihren letzten Takatuker Talern. Diese reichten dafür, das verwilderte Grundstück zu erwerben, in dessen Gestrüpp sie sich einige Tage versteckt hatten. Nach ein paar Tagen hatte sie bemerkt, dass das Haus verlassen war. Vorne stand ein verwittertes Schild. Nur durch geschicktes Ausfragen vorbeieilender Passanten hatte Pippilotta erfassen können, das „zu verkaufen“ darauf stand und wer es verkaufen würde. Eine freundliche Passantin rief sogar die Besitzerin an, weil Pippilotta dieses Gerät, in das alle starrten und reinsprachen, vorgeblich vergessen hatte.


San Myshuno heiße die Stadt mit ihren wolkenhohen dichtgedrängten Häusern. So etwas hatte Pippilotta weder um ihre ehemalige Villa Kunterbunt herum noch auf Takatuka je zuvor gesehen. Jeder scheint hier problemlos lesen zu können. Selbst die finsteren Gestalten unten am Dock … und alle tragen so ein Gerät - Pippilotta mittlerweile auch … ‚Leihgabe‘ von einer dieser finsteren Gestalten. Die Bilder und Filmchen darin sind ganz gut. Ein paar Piktogramme versteht Pippilotta mittlerweile. Aber weite Teile erschließen sich ihr nicht. Genauso wenig wie an dem Kasten im Wohnzimmer, wenn es Texte und Ziffern gibt. Auch ist Pippilotta nicht ganz klar, was nun wahr sein soll und was nur Geschichten sind. Steht das vielleicht irgendwo bei dem Buchstabensalat, der da über den Schirm flimmert? Eins hatte Pippilotta aber sofort begriffen: sie wäre nicht gut beraten, ihr Manko offen zu legen. Man würde ‚über den Tisch gezogen werden‘, heißt es. Pippilotta ahnt nicht genau, was das für ein Tisch sein könnte. Aber es klingt nicht gut. Nein, gar nicht gut. Vielleicht ein sehr hoher Tisch und man fällt auf der anderen Seite runter … und könnte sich was … brechen. Das kann Pippilotta Takatukas wegen schon nicht riskieren … sich irgendwas zu brechen. Vielleicht ist das aber auch so etwas Ähnliches wie … ‚über die Planke springen‘?

Jetzt kann Pippilotta gar nicht mehr darüber lachen, so völlig auf Schulbildung verzichtet zu haben. Die Prusseliese hatte vielleicht gar nicht so Unrecht gehabt. Das soll sich bei Takatuka auf jeden Fall nicht wiederholen. Gleich nach dem Takatuka-Spiel wird mit den Buchstabenkarten geübt, die Pippilotta in einer der Spielzeugkisten gefunden hat. Dabei kann sie auch selber wenigstens Buchstaben mitlernen. Das reicht aber nicht, um halbwegs hier in diesen Gefilden voran zu kommen. Und erst recht nicht, um weitere Informationen zu beschaffen …: Was geschah auf Takatuka? Wie ist die Lage? Wie kommen sie ohne Karte wieder dorthin? Pippilotta treibt es fast die Tränen in die Augen, nicht einfach die nächste Zeitung lesen zu können oder irgendein Buch in einer Bibliothek. Sie kann nicht mal herausfinden, was wann wo in diesen Geräten mit den Bildern gezeigt wird.

‚Eine Hand wäscht die andere‘ hat Pippilotta nun auch oft genug unten an den Docks gehört. Wahrscheinlich wäscht man sich nicht gegenseitig die Hände, so dreckig wie die der finsteren Gesellen dort sind. Es klingt eher … wie eine Tauschbörse. Man muss wohl was anbieten und bekommt … was anderes dafür. Pippilotta ist recht geschickt und das Häuschen hat sogar eine kleine Werkstatt. Sie könnte ihre Dienste in den umliegenden Haushalten feilbieten, Waschbecken reparieren, sich unauffällig umhören, wer ihr vielleicht die benötigten Informationen beschaffen kann – ohne allzu eingeweiht zu werden. Eine innere Stimme sagt Pippilotta, dass sie nicht mit Auskünften um sich werfen sollte, um Takatuka zu schützen – das Eiland wie auch ihre Tochter, die Thronanwärterin.

Jetzt aber erst einmal spielen … Pippilotta holt die unversehrten farbigen Batikstoffe aus der wasserdichten Schiffstruhe und sofort schweben Mutter und Tochter im siebten Himmel … beziehungsweise gleiten auf dem tropischen Eiland in Gedanken mit den nackten Füßen durch den weißen Sand …

Danach ist Takatuka auch bereit für etwas Buchstabensalat auf Papierkarten …


Anschließend räumt Pippilotta die feinseidigen Stoffe zurück in die Truhe. Der wirkliche Schatz ruht am Grunde der Schiffskiste … Nach dem Abendbrot, wenn Takatuka schläft und Böser Wolf über sie wacht, wird Viktualia ihre nächtlichen Runden drehen …


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11.04.2023 18:20 (zuletzt bearbeitet: 16.04.2023 15:19)
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Viktualia macht sich bereit für die Nacht. Takatuka schläft tief und fest unter der Obhut von Böser Wolf. Hier gehen Kinder in Gärten, wo sie lesen lernen, hat Pippilotta über eine kleine Nebentätigkeit erfasst. Die Nebentätigkeit verdankt sie ihren Schätzen auf dem Grund der trutzigen Truhe. Eingehüllt in geöltes und glatt gegerbtes Leder liegen sie … feingeschliffen, samtig scharf, die Klingen: je ein Satz Entermesser, Rapiere und Degen, … beidhändig zu führen und über Kreuz zu schultern.

Käpt'n Efraim Långstrump hatte seine Tochter gut unterrichtet, nachdem ihre wundersamen Kräfte mehr und mehr schwanden. Nicht dass solche Kunst auf Takatuka selber nötig gewesen wäre unter den Einwohnern … aber die zeitweiligen Freibeuter mit ihrem Hang, Schätze in sandige Sande tropischer Eilande zu vergraben, machte doch einige Vorkehrungen nötig. Sie zu vertreiben war ein leichtes Spiel, das selbst seine Pippilotta fast im Alleingang beherrschte. Ein fein gedrechselter Piratenbart hier skalpiert, ein Dreispitz dort halbiert und schon war die Bande meist ausreichend paralysiert. Nichts haut einen waschechten Piraten mehr um als seine tagelange kunstvolle Barttoupiererei gekonnt und kurzerhand zu stutzen. Was aber dann kam … war von anderer Art.

Es gab keinerlei Vorzeichen oder Vorwarnung. Sie waren übermächtig und ihr Ziel … unklar. Mit Takatuka auf der rechten Hüfte und einem Entermesser linker Hand war Pippilotta in des Häuptlings Hütte gestürzt, wo die lautesten Schreie zu vernehmen waren. Vor seinem hölzernen Thron lag er bereits … tödlich niedergestreckt … der Häuptling. Über ihm des Häuptlings Sohn … bedrängt und die Angreifer heftig abwehrend. Mit wilden Blicken seiner dunklen Onyx farbenen Augen bedeutete er Pippilotta, ihrem Vater, Käpt'n Långstrump zu folgen und Takatuka in Sicherheit zu bringen. Das war das letzte, was sie von ihm sah und mit einem Seitenblick noch das eigenwillig hochstehende Haar der Aggressoren. Auch Käpt'n Långstrump bezahlte seinen Einsatz, Tochter und Enkeltochter zu retten, mit dem Leben. Keine Mannschaft bediente das letzte Schiff zu Flucht. Allein durch Pippilotta war es nicht zu führen. Sie konnte nur abwarten, wohin die Strömung sie beide trieb …


… und sie trieb sie nach San Myshuno. Dieser Gedanke ist beunruhigend, denn die gleiche Strömung … könnte … in entgegengesetzter Richtung … Kamen sie von hier? Pippilotta streicht ganz sacht mit der Fingerkuppe über eines der Rapiere. Blut quilt hervor, der Schnitt ist kaum sichtbar. Der erste Blutstropfen, den diese Klinge jemals sah.

Sie hatte im Hof ihres kleinen Hauses – das erstaunlich an ihre frühe Villa Kunterbunt erinnert und etwas Heimeligkeit in trostloser Umgebung bietet – vor zwei Wochen mit einem der Entermesser trainiert als ein Cast Director des Weges kam. „Solch eine Stuntfrau kann ich noch brauchen …!“ rief er sie vom Gartenzaun her an, wartete gar nicht erst, ob ihm Einlass gewährt wurde und stiefelte glattwegs zum Tor hinein. Allein nur, um sich nicht schon wieder eine Blöße zu geben und weil scheinbar das Ganze etwas Geldsegen versprach, willigte Pippilotta in einen kleinen Auftrag ein, ohne eine Ahnung zu haben, was eine Stuntfrau wohl so macht. Die Tätigkeit war dann eigentlich ganz einfach. Sie musste nur mit stumpfen Degen auf jemanden eindreschen und das gelang ihr wohl so kunstvoll, dass man versprach, wieder auf sie zukommen zu wollen. Sie war jetzt bereits schon dreimal eingesetzt worden, aber vor umfangreicheren Aufträgen schreckt sie zurück … Sie hätte dazu einige Texte zur Choreographie im Vorwege studieren müssen. Verdammt! Da ist es wieder. Das Handicap!

Mit geschulterten Rapieren setzt sich Viktualia heute Abend in Bewegung, schlägt den Kragen hoch, damit die Griffe am Nacken nicht gleich zu erspähen sind.

Die nächtlichen Ausflüge dienen dem Joggen und der unauffälligen Erkundung der weiteren Umgebung. Gerne hätte Pippilotta Böser Wolf neben sich gehabt. Er funktioniert wie ein wunderbarer Seismograph, spürt herannahendes Unheil viel früher und macht mit gesträubten Nackenfell und leisem drohendem Knurren umgehend darauf aufmerksam. Er ist ein zusätzlicher Schutz und eine unglaubliche Bereicherung für den Haushalt. Ohne Böser Wolf hätte Pippilotta keine Möglichkeit, Takatuka behütet im Haus zurück zu lassen. Eine Betreuung, so ein Garten, wo Kinder lesen lernen, kann sich Pippilotta noch nicht leisten. Wieso die das im Garten machen und nicht in einer Bibliothek ist ihr schleierhaft, aber so machen das wohl auch andere Schausteller, wenn sie zur Filmarbeit gehen. Sie schicken ihre Kinder in einen … Garten.

Viktualia bleibt stets im Schatten, kreuzt nicht das Laternenlicht, um wie ein Reh gebannt auf einen Angreifer außerhalb des Lichtkegels zu starren, den man doch nicht sehen kann.


Nur einmal kam ihr des nachts bislang einer quer, zückte einen spitzen Dolch und konnte kaum einen Aufschrei unterdrücken als ihm gleich zwei und wesentlich längere Klingen entgegen schnellten. „Hej, wollte doch nur nach dem Weg fragen!“ Nuschelte er schnell … wohl leicht trunken. Und „Wie heißte denn?“ – „Nenn mich Viktualia! Und meine beiden ‚Wegweiser‘ weisen dir schon den rechten Weg! Da entlang … und niemals wieder hier vorbei, hörst du!“ Er hatte dünnes feines Haar, fast schon licht - kein aufgetürmtes - und wieselte so schnell es ihm möglich war in die ‚angezeigte‘ Richtung davon.

Heute Nacht zieht Viktualia weitere Kreise in die nächste Nachbarschaft. Stetig vergrößert sie ihr Umfeld. Ein Park bietet viel Schatten im ...

Geht nach: San Myshuno A - Central Park


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11.04.2023 18:31 (zuletzt bearbeitet: 09.01.2024 11:25)
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Kommt von: Central Park

Die nächsten Tage brachten soviel aufregendes Neues. Pippilotta fand keine Zeit, den Park von San Myshuno noch einmal zu besuchen. Da war das Gewürzfestival direkt in ihrem Viertel eines Abends. Sie entdeckte darüber hinaus, dass man in dieser Stadt einfach viel Brauchbares entsorgte, das sich zu bergen lohnte. Simse schlossen sich gegen dieses Übermaß an Hülle und Fülle für die einen und den Mangel für die anderen zu Protesten zusammen. Und immer wieder konnte man tagsüber ohne Gefahr für Leib und Leben auf Charaktere mit so unterschiedlichen Interessen treffen … und sei es nur, um dieses Spiel mit Korb und Ball zu begehen. Pippilotta verschwendete in diesen friedvollen Tagen kaum einen Gedanken an Takatuka.

Das besondere Highlight war das ganze kostenfreie Obst und Gemüse auf dem Gewürzfestival für den Eigenanbau. Pippilotta nahm so viel mit wie in ihre Hosentaschen passten und da passte außerordentlich viel rein … ohne zu zermatschen. Wie erstaunlich.


Hach, waren die Festivalteilnehmer allesamt freundlich … bis auf die zwei Prügelknaben eingangs der Festlichkeit.



Dann riefen Pippilotta noch zwei Herren an, doch mal von einer ganzen neuen ihr unbekannten Köstlichkeit zu probieren. Auch ganz umsonst und gratis … die ersten drei Male … um auf den Geschmack zu kommen.



„Das öffnet den Geist …“ – „Den Geist? Lernt man dann besser?“ – „Aber ja, sicher doch, man ‚lernt‘ sehr viel …“. Dieser Sims schien Pippilottas sehnlichste Wünsche zu erraten nach mehr Bildung und Wissen. Wenn dies ein Weg war, schneller Schreiben und Lesen zu lernen, so wollte sie ihn sogleich beschreiten. Hach, es gibt Dinge, die den Geist benebeln wie Alkohol und welche, die ihn wohl erweitern. Darüber hatte ihr Vater nichts erzählt.



„Siehst du, es ist ganz leicht …. Nimm nur einen Zug …“. Ausgeprägte Begleiterscheinungen wollte Pippilotta meinen. Aber wenn es hilft …


„Das ist nur am Anfang so, keine Angst … Nimm nur noch einen Zug und noch einen. Es wird von Mal zu Mal besser …!“ Sein Wort in Gottes Ohr … Pippilotta war so beseelt, ihren Geist vollends zu öffnen … Das offenkundige Missfallen manch Umstehender hielt sie dann aber doch von weiteren Proben ab …


Dann war das Festival auch schon zu Ende. Auf dem Rückweg nach Hause blitzten dann doch noch onyxschwarze Augen vor ihrem geistigen auf … War das die angekündigte Öffnung des Geistes? Und lebte er noch? Takatukas Vater?


Am nächsten Tag wurden erst einmal die Hosentaschen geleert und alles Pflanzbare im Garten vergraben … in der Hoffnung, dass Pippilotta ein grüner Daumen naturgegeben ist. Man wird sehen.


Pippilotta entdeckte eine Vorform des später als Containern bekannten Wühlens im Müll, um ‚Wertstoffe‘ zu bergen … Unklar bleibt ihr, warum man Wertstoffe … also Schätze … nicht gut in Truhen verschließt und einfach auf der Straße für jedermann zugänglich abstellt. Piraten verbuddeln ihre Schätze in Truhen sogar tief in der Erde, damit niemand drankommt.


Diese nur lose befestigten Zeitungen und Plakate konnten vielleicht wichtige Nachrichten enthalten, die sie sich nach und nach erschließen könnte, wenn sie denn erst einmal das Alphabet wenigstens halbwegs durchhat. Mehr Bild als Text. Also, allesamt mitgenommen, wenn keiner hinsieht …


Am Nachmittag noch schloss sie sich einer Protestaktion an, die wohl die ungerechte Verteilung materiellen Wohls … also wohl auch der Wertstoffe … verdammte. Mhm, letztere waren ja eigentlich jedem zugänglich … und wurden scheinbar besonders von den Ärmeren genutzt. Die Reicheren bereicherten sich nicht daran, mhm. Genau wußte Pippilotta auch nicht, was auf ihrem Schild eigentlich stand. Aber die Bilder der anderen Schilder waren doch beredt genug, oder?


Mal so ganz ohne Worte und Text mit anderen einfach nur ein rundes Ding durch ein Netz werfen, kommt Pippilotta am meisten entgegen. Und man trifft immer wieder neue Leute am Platz …


Alles im allem doch hier ganz passabel so langsam ... denkt sich Pippilotta. Das eigentliche Ziel - Takatuka - darf sie aber keineswegs aus den Augen verlieren ...


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11.04.2023 18:57 (zuletzt bearbeitet: 16.04.2023 15:20)
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Irgendwie gewinnt dann doch die Sehnsucht Pippilottas nach Takatuka die Überhand. Wenn sie sich doch nur einfach ausreichend genug zwingen würde, zu lesen, um zu erfassen, wie es weitergehen könnte. Was birgt dieser Stapel Bücher, den Pippilotta in einem alten Reisekoffer in der Werkstatt gefunden hat, an wundersamen Inhalten?


Pippilotta versucht Tag und Nacht den Büchern Inhalte abzuringen. Längst ist ihr Haushalt, Hege und Pflege recht egal. Takatuka verwüstet eh alle Nase lang sämtliche Böden innen wie außen. Böser Wolf wälzt sich in jedem Misthaufen, den er finden kann und stinkt die meiste Zeit gen Himmel. Zum Schluss gibt Pippilotta die Leseversuche auf und macht sich auf den Weg nach …


Nächster Post: Archiv von Willow Creek


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11.04.2023 19:01 (zuletzt bearbeitet: 16.04.2023 15:20)
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Vorheriger Post: Archiv von Willow Creek


Noch immer völlig aufgekratzt, ihrem Ziel so viel näher gekommen zu sein, legt Pippilotta erst einmal einen Rumbasim auf der Tanzfläche hin. Bald wird sie den Traditionstanz Takatukas vielleicht wieder - begleitet unter den sanften Blicken onyxschwarzer Augen – gemeinsam durch die Lüfte wirbeln. Tochter Takatuka hat derweil nicht versäumt, auch noch die Tanzfläche im Haus zu verunstalten.


Gleich darauf inspiziert Pippilotta wie schon oft die vergangenen Wochen noch einmal das Hafenbecken. Dort direkt an der Kaimauer tief auf dem Grund liegt das zerborstene Schiff. Heute fühlt sich Pippilotta, beschwingt durch die blühenden Aussichten und noch aufgewirbelt durch den Takatuker Tanz, unendlich gestärkt, die schwindenden Kindheitskräfte noch einmal bis zur Erschöpfung vollends zu mobilisieren und das Wrack zu bergen. Der Rest wäre nur noch eine Überarbeitung an der Werkbank.


Beherzt springt Pippilotta ins kühle trübe Nass …


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11.04.2023 19:28 (zuletzt bearbeitet: 16.04.2023 15:21)
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Was hatte sie getan? Mit voller Montur ins Wasser? Als könnte sie noch wie früher Berge versetzten, Steine brechen und die Welt aus den Angeln heben? Vorbei. Nur mit müher Not hatte sie sich gerade noch vom Grund abstoßen und wieder nach oben kämpfen können. Fast wäre sie ertrunken.

Aber auch ohne Vollbekleidung … sie könnte schon lange nicht mehr so etwas wie ein Wrack heben. Nicht mal im Ansatz. All die Kraft der Kindheit war verschwunden ... für immer!


Und Takatuka, ihre Tochter? Was wäre mit ihr geschehen, wenn sie nicht mehr wäre? Wie hatte sie so unverantwortlich sein können und nicht an das liebliche Bündel im Haus denken können? Takatuka, die Tochter oder Takatuka, das paradiesische Eiland?

*Sehsuchtsvoller Blick zurück aufs Meer gen vermuteter Insellage*


Muss ich mich entscheiden zwischen Leben und Tochter hier und ewiger Sehnsucht oder untergangsgeweihter Suche nach dem Eiland?


*beamt sich tagträumend in die Vergangenheit weg*

Takatuka … Tanuí … Wind, Wasser, Wellen … Sanfte Wogen des Glücks … Verrate ich sie alle, wenn ich nicht mal suche? Und wenn sie gar nicht mehr sind …?


*reißt sich von den Träumereien wieder los*

Ich bin schon zu lang unten an den Docks. Muss heim und nach Tochter Takatuka schauen … S i e steht an erster Stelle. W i e konnte ich das nur vergessen?
Geht heim.

Nächster Post: an den Doks


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11.04.2023 22:51 (zuletzt bearbeitet: 16.04.2023 15:21)
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Letzter Post: an den Doks


Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter Långstrump dreht für ihren demnächst anstehenden Gartenhandel wieder eine Runde in der Nachbarschaft für ‚Wertstoffsuche‘ in den ‚bereitgestellten‘ Kisten. Auch Plakate werden wieder von den Stromverteilungskästen gesammelt. Alles bares Geld und Lernmaterial für die äußerst langsam voranschreitende Alphabetisierung der Pippilotta. Ein Plakat sticht ihr diesen Morgen besonders ins Auge. Zumindest Bilder kann sie deuten. Musik und Tanzen! Ach, die Strandtänze und -gesänge Takatukas schweben ihr vor Augen … Aloha. Aber was steht da genau?

„Ach, entschuldigen Sie bitte“, spricht sie eine passierende ältere Dame an, „ich habe meine Brille vergessen. Könnten Sie mir sagen, was da auf dem Plakat angekündigt wird?“

Stirnrunzeln liest die betagte Seniorin Pippilotta den Text laut vor … Ort, Zeit, Jazzclub, Rocknacht, Tanzwettbewerb.
„Lauter unanständiger Kram für Rauf- und Saufbolde und jugendliche langhaarige Randalierer!“ schimpf die alte Dame verkniffen vor sich hin und zieht ihres Weges.

Pippilotta hat nur noch Musik und Tanzen gehört und sich Ort und Zeit eingeprägt. Schwupps, das Plakat muss auf jeden Fall mit. Was wohl eine Nacht für Röcke ist?


Na, man wird sehen. Weiter, was bieten die ‚Wertstoffkisten‘ heute Feines? Was leuchtet denn da so bunt am Grund?


Huch! Ein Rock? Wie passend! Und in so schönen leuchtenden Farben wie die exotischen Inselblüten Takatukas. Wenn das nicht ein Zeichen ist. Sie muss zu den Veranstaltungen von Gesang und Tanz hin. Vielleicht gibt es … *ihr stockt kurz der Atem* … andere Überlebende, die hierher mit der gleichen Strömung angeschwemmt wurden und sich dort zu einer vertrauten und auf Takatuka bald täglichen Aktivität wiederfinden? Vielleicht hört sie zumindest das eine oder andere von möglichen Ereignissen in der tropischen Ferne …


Hach, beglückt wendet sich Pippilotta mit ihren Funden heimwärts. Gleich mal waschen, anprobieren und zuhause schon mal das Tanzbein vorschwingen …

Aber vor den Musikveranstaltungen hat sie noch eine Überraschung für Takatuka.

Nächster Post - Seegrasinsel


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12.04.2023 01:07 (zuletzt bearbeitet: 09.01.2024 11:29)
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Lotta: Vorheriger Post

Es ist spät geworden in der lauen Frühlingsnacht. Sie tänzelt noch … kick kick, Seitwärtschritt … die Straße entlang als sie unmittelbar in Sichtweite ihres Hauses nahe den Docks leise Schritte und einen Schatten noch aus dem Augenwinkel hinter sich wahrnimmt. Eindeutig ein Nachtschatten, der sich bemüht, nicht gleich gehört zu werden. So dicht beim Haus! Töchterchen, Takatuka! Geraten sie zunehmend in Gefahr? Spricht sich bei den Zwielichtern der Nacht herum, dass dort eine scheinbar ‚schutzlose‘ allein erziehende Mutter mit Kind lebt - in nicht gerade familientauglicher Umgebung?

Schwerter, Rapiere, Degen … alle im Haus! Natürlich hatte sie in diesem Rock und in einer erhellten Bar nichts zum eigenen Schutz dabei. Pippilotta überlegt kurz, dann tänzelt sie weiter als habe sie scheinbar nichts bemerkt, lauscht aber konzentriert in den Hintergrund. Ja, die Schritte folgen. Ist es hier nur ungünstig oder wollen die Schritte … zum Haus? Kurz vor der Haustür taucht Pippilotta schnell in die Schatten ihrer Gartensträucher ab und schleicht zur hinteren Tür, um diese leise zu öffnen und im Dunklen einzutreten. Kind und Wolf schlafen, sie hört das leise Schnorcheln vom Wolf im Nebenzimmer. Er soll jetzt nicht anschlagen. Sie will wissen, wem oder was die Schritte draußen gelten. Dass es ein Nachtschatten ist, muss sie sich von Böser Wolf nicht mehr bestätigen lassen. Schnell holt sie im Dunklen ihre Rapiere, kleidet sich in Tauglicheres um, flicht das offene Haar schnell zusammen und verlässt das Haus leise wieder über die Hintertür.

Wie erwartet, ihr plötzliches Abtauchen hat erst einmal für Irritation gesorgt. Der Nachtschatten schleicht ums Haus, scheint es auskundschaften zu wollen. Böser Wolf muss die nächsten Nächte um das Haus herum Wacht halten. Ausgehen ist erst mal nicht möglich. Wehret den Anfängen, denkt sich Pippi, es gilt jetzt Stärke und Furchtlosigkeit zu zeigen, absolute Kampf- und Wehrbereitschaft, ansonsten hätten Takatuka und sie keine ruhige Nacht mehr. Es geht um viel. In Vorbereitung auf einen Kampf sammelt sie zunehmend ihre Konzentration und alle ihre Kraft, wird ruhig, kalt überlegend. Nicht direkt beim Haus. Sie wird ihn etwas weiter entfernt stellen. Sie muss ihn wieder vom Haus fortlocken. Dort drüben im Laternenlicht wird sie sich zeigen, schleicht am Nachtschatten vorbei und eilt zur anderen Straßenseite hinüber.

Während sie sich im fahlen Laternenlicht präsentiert und tatsächlich eine schale Gestalt aus ihrem Garten sich ihr nähert, schätzt sie bereits auf diese Entfernung ab, dass er ihr nicht im Geringsten gewachsen sein wird. Leichtes Spiel, sie lacht leise in sich hinein und wendet sich wieder dunkleren Gefilden in Richtung der westlichen Docks zu. Sie möchte noch mehr Abstand zum Haus schaffen und sicher nicht Zeugen ihrer ‚Erziehungsmethoden‘ riskieren. Nein, das hat sie schon verstanden. D a s ist hier nicht erwünscht. Dann wäre s i e das öffentliche Ärgernis.

Ihr Vorteil: Er würde sie unterschätzen. Die Kraft ihrer Kindheit hat sie nicht mehr, aber sie ist bei Weitem stärker als hier allgemein einer Frau zugetraut wird, täglich trainiert und im Umgang mit ihren ‚Pflug-Geräten‘ so etwas von behänd. Ja, da drüben im Schatten, da soll es sein. Die ‚Erziehung‘ beginnt. Sie stoppt mitten im Lauf, wendet sich umgehend um, er folgt schnell auf und wäre fast in sie rein gestolpert. Erneute Irritation! Perfekt!

„Du Schnepfe!“, fährt der Nachtschatten sie wütend und erschrocken an, „Du und dein Balg, euch kriegen wir schon!“ – „Wir? Im Moment bist du aber allein!“ Sie wird das ‚Wir‘ schon aus ihm ‚rauskitzeln‘.


Sie zieht zu seinem Entsetzen ihre Rapiere, lacht erneut und wirft ihm eines der beiden sogar zu: „Wollen w i r es nicht gleich h i e r austragen, wer wen dran kriegt?“ Bei diesem Wiesel fühlt sie sich selbst in einem bewaffneten Duell noch absolut sicher. Er weiß ja gar nicht, was er mit einem Rapier anstellen soll.


„Du musst schon etwas näher rücken, sonst wird das nichts!“ ruft Viktualia – ihr Name im Schatten der Nacht – dem defensiv operierenden Subjekt entgegen.


„Ich mach‘ dich fertig,“ schreit der mittlerweile Erzürnte nun lauthals. „Aber sicher doch,“ kontert Viktualia gelassen.


„Oh hoho, da wird aber einer mutig,“ witzelt die Angegriffene genüsslich, ohne auch nur den Hauch einer Hebung ihres Atems zu zeigen, währen der Angreifer bereits in schwitzendes Schnaufen gerät.

„Nun denn, kommen w i r zum Ende, bevor d i r noch die letzte Puste ausgeht“, verkündet Viktualia und zieht mit einem Rechtsschwung dem Nachtschatten quasi das Hemd aus der Hose. „Touché!“


„Wer ist w i r?“ verlangt Viktualia nun zu wissen. Das Wiesel faselt augenblicklich: „Nur ein Kumpel noch, bitte. Wir wollten auch nicht viel. Nur ein paar Gerätschaften aus deinem Schuppen. Da haben wir uns auch vorher schon bedient, als das Haus noch leer stand.“ Er ist tatsächlich nicht mehr als eine Ratte. „Du hättest eine unvermögende Mutter und ihr Kind beraubt! Nur um dein klägliches Leben zu versorgen?“ Das Wiesel winselt nur noch um Gnade. Niemand möchte sich mit einer rachsüchtigen Mutter anlegen, die ihr Kind bis auf das Äußerste verteidigen würde.

„Eins noch,“ quetscht Viktualia die quietschende Ratte weiter aus. „Warum bist du mir vom Haus weg gefolgt, anstatt dich zum Schuppen zu begeben?“ – „Man will ja auch ein bisschen ‚Vergnügen‘ neben der ‚Arbeit‘!“ lautet die einfältige Antwort. *Ratsch* Beinahe hätte das nun gellend aufschreiende Wiesel ein Ohr verloren!


„Ich lass dir dein liederliches Leben, denn trag es nur weiter in jeden schattigen Winkel der Nacht. Viktualia hätt‘ euch alle – einzeln und Stück, für Stück - tranchiert und qualvoll niedergemacht. Zieh deines Weges. Hurtig. Aus meinen Augen!“ *Wedelt noch einmal eindrucksvoll mit dem Rapier vor des Angreifers Gesicht.* So schnell hat Viktualia in letzter Zeit niemanden rennen sehen. Sie kann nicht anders als sich nun endlich das bei ihrer letzten Ansprache unterdrückte Schmunzeln zu gönnen und am Ende lauthals prustend loszulachen. ‚Erziehung‘ ist doch immer wieder ein 'hartes Stück Arbeit'.


Mit noch Lachtränen in den Augen kehrt Pippilotta nun wirklich ins Haus zurück … durch die Vordertür. Ja, die ‚Ratten‘ sind lästig, aber längst nicht so gefährliche Subjekte wie andere Nachtschatten. Für heute Nacht und wohl auch die nächsten wird es wohl Ruhe vor ihnen geben.

Hach, das sind Scharmützel, die sie alle halbe Jahre auf Takatuka mit kleinen Piratenbanden von außerhalb hatten, welche mal wieder irgend eine Beute auf einem sandigen Eiland vergraben wollten. Die waren immer schnell wieder vertrieben gewesen und die Beute auf der Insel verblieben. Takatuka, mein Eilland ... Nur knapp zwei Stunden Schlaf bleiben Pippilotta von der Nacht, aber die schläft sie tief und ruhig … Tanuí … Mae … Liebste … !


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12.04.2023 01:48 (zuletzt bearbeitet: 15.04.2023 22:59)
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Hausmeister

Nach der Rocknacht und der anschließenden kleinen ‚Erziehungsmaßname‘ kehrt eine gewisse Ruhe in den Alltag im Hause Långstrump ein. Derzeit stehen keine kleinen Stuntaufträge an und Pippilotta erwägt, ihr Auskommen durch selbstgefertigtes Mobiliar sowie Reparaturdienste aller Art aufzuhübschen. Dass das erstandene Haus eine kleine Werkstatt beinhaltet, hatte sie von Anfang an entzückt. Schließlich ist sie seit ihrer Kindheit in der Villa Kunterbunt mit Reparaturen aller Art vertraut und besitzt einiges Geschick. Das sollte ihr doch jetzt irgendwie zugutekommen. Holz hat sie genug. Fein geschliffenes samtiges Treibholz schwemmt immer wieder an und sammelt sich im Hafenbecken. Eigentlich müsste man ihr Gebühren für die Bergung und ‚Entsorgung‘ entrichten. Meist wird aber nur merkwürdig geguckt von den wenigen vorbeischleichenden Gestalten am unteren Dock. Auch vom Grund konnte sie einzelne wertvolle Stücke Holz des dort unten ruhenden Wracks abschlagen. Schiffsholz und seine Verarbeitung sind sehr kostbar. Alles in allem nennt Pippilotta nun ein feines Lager kostenlosen wertvollen Holzes ihr Eigen.



Die Entermesser leisten vorzügliche Arbeit am Holz. *Hack, hack*

„Mama pielen!“ ruft Takatuka. „Schatz,“ jetzt nicht. Vorsicht die Messer! Geh‘ ein bisschen mit Böser Wolf spielen. Ich muss das noch fertig machen und nachher spielen wir. Versprochen.“


Takatuka kennt das. Die Mama hat nicht immer gleich Zeit. Sonst gibt es nicht genug zu Essen, hat sie soweit schon begriffen. Die kleine Kinderseele hat die stürmischen Tage an Bord des Fluchtschiffes, den Aufprall, das viele Wasser, dass es schluckte und die Tage des Versteckens und Hungerns nicht vergessen. Dazu war die Kleine schon zu alt – zum Vergessen. Mit Beginn der Sprache bleibt alles schon bewusster haften.

„Bösa …!“ rufend, dreht sich Takatuka auf dem Absatz rum.


„Aaaaaaahhhhhhggggg …!“ Einmal die Schultern strecken. Pippilotta werkelt jetzt schon ein paar Stunden an diversen Entwürfen.


Und weiter mit dem Entermesser …:„Rechts, links, rechts, links … en garde!“Auch sonst keine schlechte Übung, um im Training zu bleiben.


Der Wolf muss derweil mal wieder für respektlose Kinderspiele wie ‚Nachäffen‘ herhalten: „Wuff!“ - Nein, meine Kleine, das ist eher ein langgezogenes: „A’huuuuUUUU …,“ heult der Wolf.


Böser Wolf findet neben der ‚Kinderbetreuung‘ auch noch Zeit für eigene Vergnügen wie zum Beispiel sich in stinkigem Seetang zu wälzen …


„A’huuuuUUUU …!“

Dabei denkt er, während er im Sumpfgras ruht, laut, vernehmlich und gründlich nach: „Wie kann ich mich nur verständlich machen?“ Doch leider verstehen alle anderen im Haus nur: „A’huuuuUUUU …!“

Es war kein Zufall, dass er sie damals am Kai fand. Retten musste sie sich selber mit Kind aus den Tiefen des Hafenbeckens, aber oben konnte er wenigstens schon warten, bangen, hoffen, dass sie es schaffen würden. Die Strömungsrichtung war ihm bekannt. Er wusste, dass sie in etwa hier landen würden. Tagelang hatte er in der Nähe schon ausgeharrt, immer wieder den Blick über das Meer gerichtet. Er würde sie schützen … beide … immer … mit seinem Leib und seinem Leben!


Pippilotta versucht dieser geheimnisvollen Kiste mit laufenden Bildern einige Informationen zu entnehmen. Ob sie auch mal von den Ereignissen auf Takatuka berichten werden? Es gibt vier Knöpfe und dann laufen auch verschiedene Bilder ab. Wieso bloß sind oft Simse zu sehen, die stundenlang kochen? Manches läuft wohl jeden Tag zur gleichen Zeit auf einem bestimmten Knopf und sie versucht, sich das alles im Kopf zu merken. Klappt nicht immer. Heute schon mal gar nicht. Puh! „Böser Wolf, hast du dich wieder in Seetang gewälzt? Du stinkst zum Himmel! Los, auf ins Bad! Hopp!“


„Was für ein Los, dass ich dich verstehe, du aber mich nicht - A’huuuuUUUU …“, klagt Böser Wolf. „Jaul doch nicht so Böser, ich tue dir doch nicht weh, oder?“ lacht Pippilotta. Nein, sie tut Böser Wolf nicht weh. Ihre Hände, die sanft sein Fell schuppern, tun sooo gut. Er würde wie ein Kätzchen schnurren, wenn er könnte.


Aber erstmal Wasser ausschütteln wie nur ein großer Böser Wolf das tut und das ganze Bad versauen.


„So kleine Maus, vor dem Abendbrot wollen wir noch ein bisschen das ABC gemeinsam lernen! Ja, es muss sein! Mach nicht den gleichen Fehler wie ich in meiner Kindheit!“


Wenn auch Takatuka recht frei ihre Kindheit genießen kann wie einst Wildfang Pippilotta selber, so unerbittlich ist die junge Mutter aber mittlerweile, was Lesen, Schreiben und Rechnen angeht. Es dient letztendlich ihrem Überleben. Wer das nicht ausreichend beherrscht ist verloren in dieser Welt. Wird laufend übertölpelt und kann sich diese Unmengen an Informationen überhaupt nicht erschließen, die gedruckt und geschrieben überall stehen. „Quaaaak, Takatuka, Q …“Sie sind bisher noch nicht mal bis zum letzten Buchstaben des Alphabets vorgedrungen.


Die frühen Abende sind der Vorbereitung des Abendbrotes gewidmet, das kostenlos aus dem Hafenbecken gezogen werden kann. Fast Abend für Abend. Es sind auch die Mußestunden, in denen Pippilotta in Ruhe nachdenken … und sich ungestört Tagträumen überlassen kann …


Takatuka … Strand … Tanuí … Mae … Du fehlst uns.


Pipilotta denkt auch noch mal über die geknüpften Bekanntschaften der letzten Zeit nach. Ihr Haus steht tagsüber jederzeit offen, hat sie ihnen gesagt. Sie können jederzeit anklopfen und reinschneien. Häufig ist sie in der kleinen Werkstatt, abends auch oft an den Docks hinterm Haus zum Angeln anzutreffen … Wäre aber mal nur Takatuka und Böser Wolf allein daheim, würden die nicht öffnen dürfen. Falls man dann ein drohendes Knurren hinter der Tür hört, dann besser langsam und leise rückwärts wieder von der Tür zurückweichen und so schnell wie möglich abhauen. Böser versteht da keinen Spaß.

Nachtschatten und Zwielichte, die nachts das Haus aufsuchen wollen, werden sich aber mit Böser Wolf anlegen müssen. Er dreht dann im Garten seine Runden.
* Zähne fletsch … Sprungbereit * „A’huuuuUUUU …!“


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