Willow Creek - Rias Haus

15.04.2023 10:19 (zuletzt bearbeitet: 15.04.2023 20:27)
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15.04.2023 10:19 (zuletzt bearbeitet: 15.04.2023 20:39)
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Storyline : Schattenjagd
Personen: Victoria Lovecraft / ihr Großvater Wilbur





Das Haus am Agincourt-River war irgendwann um 1880 herum erbaut und in den 1990iger Jahren von Grund auf saniert worden. Es hatte neben einem Internet-Anschluss auch eine eigene Wasseraufbereitungsanlage erhalten, da die alte Wasserversorgung der Stadt immer wieder von Sumpfwasser aus den nahegelegenen Marschen verunreinigt worden war. Das Haus lag, umsäumt von einem breiten Streifen satten Grüns eines gepflegten Rasens etwas abseits der Washington Street, für sich allein und durch einen hohen, schmiedeeisernen Zaun noch mehr von den übrigen Häusern getrennt.

Den gewundenen Kiesweg, der von der Straße hinüber zum Haus führte, flankierte zur linken Seite ein dicker Teppich aus filigranen Federgras, das sich in jeder noch so schwachen Brise sanft wiegte, während zur rechten des Weges mehrere Trauerweiden sich mit japanischen Pinien abwechselten, deren Äste und Stämme sich krumm und verdreht gewachsen in den Himmel streckten.

Mehrere große Findlinge - aber auch faustgroße, vom Flusswasser abgerundete Granitsteine - bildeten so etwas wie kleine Grüppchen auf dem weiten Rasen, manchmal stand aber auch ein größerer Stein ganz für sich alleine und dem Besucher drängte sich der Eindruck auf, dass die wie wahllos ins Gelände verstreuten Bäume und Steine in Wahrheit nach einem hochkomplexen Muster oder Plan gepflanzt oder platziert, ja sogar im ersteren Fall sogar ihrem Wachstum gesteuert worden waren. Und dem aufmerksameren Besucher würde nicht verborgen bleiben, dass ein einzelnstehender Steinblock auf der, dem Haus ab- und dem Sumpf zugewandten Seite sogar merkwürdig glatt war. Wäre er dann nähergetreten und hätte seine Hand auf den Stein gelegt, wären ihm auch die verwitterten Linien, Riefen und Vertiefungen nicht verborgen geblieben, die sich darauf befanden und wie äonenalte Schriftzeichen aussahen, vom Wind und Regen der Jahrtausende glatt gespült und abgeschmirgelt.

Trotzdem die Bäume eine weite Fläche um das Haus herum frei ließen, wirkte das Gebäude selbst im vollen Sonnenlicht irgendwie düster und bedrohlich – zumindest für diejenigen, die zum ersten Mal einen Fuß auf die Treppe die zur Doppeltür führt setzten. Doch hatte, trotz seines Alters kaum jemand je das Anwesen von innen gesehen, abgesehen von den Arbeitern und Technikern die es zuerst an das Strom- und Wasser-, später dann an das Telefonnetz der Stadt angeschlossen hatten. Und sie hatten stets in freigeräumten, leeren Zimmern gearbeitet und konnten sich über die Gastfreundlichkeit seiner Bewohner, der Familie Lovecraft nicht im mindesten beklagen. Doch nach diesen Umbauarbeiten war das Haus wieder in seine zurückgezogene, stille Melancholie verfallen.

Seit jeher hatten die Lovecrafts die übrigen Einwohner von Willow Creek zwar nicht gerade gemieden, doch suchten sie auch nicht ihre Nähe und galten deshalb als verschrobene Leute, auch wenn man ihnen deswegen keine große Abneigung entgegenbrachte da irgendwie jeder Einheimische hier großen Wert auf sein Privatleben legte. Sonderbar machte die Familie nur, weil sie selbst an den Allerheiligsten Feiertagen des Landes auf ihre Abgeschiedenheit pochten und auch noch jede so hartnäckig herangetragene Einladung der besseren Gesellschaft von Willow Creek in freundlicher Entschiedenheit abgelehnt hatten.

Auch hatten sie es vorgezogen ihre Kinder stets selbst zu unterrichten oder einen Privatlehrer von Außerhalb kommen zu lassen, die sich in ihrer Zeit auf dem Anwesen mehr in das soziale Leben der Stadt einbrachten als ihre Arbeitgeber. Und aufgrund dieser seltenen Fälle, den meist verließen die Lehrer ihre Schüler nach ein, zwei oder drei Jahren wieder, stammte das Wissen das man über die Familie Lovecraft zusammengetragen hatte.

Alles in allem waren sie ganz normale Leute, denen nichts abstruses oder Absonderliches anhaftete – abgesehen von ihrer Zurückgezogenheit. Viele von ihnen hatten unter den verschiedensten Pseudonymen Romane oder Sachbücher veröffentlicht, einer sogar ein Drehbuch für einen gerade erst aufkommenden Stummfilm geschrieben. Die einzige wirkliche Ausnahme in ihrem ruhigen Leben hatte es einmal in den 1970igern gegeben als eine Tochter des Hauses sich der Friedensbewegung angeschlossen hatte und als Hippie durch das Land gezogen war.

Ihr Bruder, John Willbur, lebte lange Zeit glücklich mit seiner Frau Evelyn in dem Haus und zog einen Sohn (Simon) groß der, sobald er einundzwanzig Jahre alt und damit Mündig geworden war, nach Axebridge zog und heiratete. Durch einen Schicksalsschlag starb er jedoch zusammen mit seiner Frau bei einem Autounfall und seine Tochter, Victoria wurde der Obhut ihrer Großeltern übergeben. Vor zwei Jahren starb nun die Frau von John Willbur und seitdem leben er und seine Enkelin allein in dem Haus.

Doch nun war die Idylle die seine Bewohner so schätzten erneut nachhaltig gestört worden, denn es war ein amtliches Schreiben eingegangen in dem stand, dass im Zuge der Schulbildungsreform der Unterricht von Zuhause aus oder durch Privatlehrer nur noch im genehmigungspflichtigen Sonderfall möglich war. Ob die Familie es wollte oder nicht, die sechszehnjährige Enkelin Victoria musste nun eine der öffentlichen Schulen besuchen und am Ende ihrer Schulzeit einen Abschluss erreichen.

Man glaube nur nicht der Mensch sei der älteste oder letzter Herrscher der Welt oder gewöhnliches Leben und Substanz würden allein existieren …




Das alte, längst brüchig gewordene Pergament knisterte leise, als sie umblätterte und den Blick langsam über die Schriftzeichen wandern ließ die mit kunstvollen Verzierungen geschmückt die Seiten bedeckten. Selbst Professoren und herausragende Wissenschaftler hätten sich schwer getan das Alter des Buches zu bestimmen oder gar gewusst in welcher Sprache es verfasst worden war. Ähnliches sah man in der Welt der Museen und Sammlungen der naturkundlichen Schätze der Welt nicht, noch wurden sie in privaten Ausstellungen zur Schau gestellt. Wer ein solches Buch sein eigen nannte tat sein Möglichstes seinen Inhalt, ja selbst seine Existenz vor den Augen der Menschen zu verbergen.

…Ming’Losh nar nKuul… Serach mefngui … mglaw’nafh Krul’nuftach … Gahn’minglosh … Bath’margalf .. Truh’Rleyhian

Suchend wanderten die grauen Augen über das poröse Pergament und die Lippen formten Stumm den Inhalt der Zeilen nach, übersetzten sie bereits fließend im Kopf.

…die letzte Eiszeit vor dem Erwachen… die unedlichen Ströme des Serach, träumend von der Zeit … bevor ER zurückkehrt … dem Herrscher der Tiefe … Fürst der Schwärze … dem wahren Besitzer R’leyh´s…

Ihre Zunge schnellte vor, fuhr über ihre trockenen Lippen als sie den Namen desjenigen formte der träumend in seinem Haus in R’leyh saß und auf sein erwachen wartete. Trotz seiner Totenstarre konnten Kundige der Worte ihn anrufen, um von seinem Wissen und seiner Macht – die auf seine Diener abfärbte zu profitieren. Für ihn gab es kein ganzes Wort, keinen Namen den man leichtfertig aussprach– nur ein Symbol.




Wieder blätterte sie um, fuhr sanft mit der Kuppe ihres Zeigefingers über die raue Oberfläche und spürte beinahe wie die schwarze Farbe dessen, was man mit Tinte verwechseln könnte, sich gegen ihren Finger streckte, kleinen Widerhaken gleich in die Haut grub und einen sachten, kaum merklichen Schmerz auslöste.
Ein feines Frösteln begann zwischen ihren Schulterblättern und kroch langsam ihren Rücken hinunter als ihre Fingerspitze die monströsen Absurditäten, Wesen einer ganz anderen Welt, nachfuhren.



Die Beschwörungsformeln lagen ihr auf der Zunge, doch sie hütete sich davor sie auch nur flüsternd auszusprechen. Wahrscheinlich hätte sie in Wahrheit jedoch das ganze Buch laut vorlesen, blutige Pentagramme an Wände und Böden malen und sich auf den Kopf stellen können und außer den typischen Begleitumständen, dass die Schatten zu wachsen begonnen hätten wäre nichts geschehen.

Sie war nur eine minorus Adepta der Carta magicae und Wesen, wie sie hier im Buch aufgelistet waren erforderten einen Magna Dominus oder noch höheren Meister der Magie. Und selbst dieser würde sich davor hüten jene Worte auszusprechen oder jene Dinger auch nur auf sich aufmerksam zu machen.

Wesen wie diese Uralten, unterwarfen sich keinem fremden Willen, noch sahen sie Menschen ihrer Aufmerksamkeit wert. Langsam blätterte sie weiter, spürte wie kalt die Luft geworden war während sie zu Lesen begonnen hatte. Das Licht der Petroleumlampe reichte gerade noch aus um den Schreibtisch, an dem sie saß, zu erhellen, während das Zimmer mehr und mehr in Dunkelheit versank. Andere hätten die näher herankriechende Schwärze als bedrohlich oder beängstigend empfunden. Ria jedoch liebte die Schatten. Es war einfach so, seit sie klein gewesen war. Als Kind hatte sie selbst in finsterster Nacht die Jalousien ihres Zimmers geschlossen, bis es so drückend und dunkel wie in einem Grab gewesen war. Erst dann konnte sie in Ruhe schlafen.

…Si’ingl amafph’Ach… Akkathach’Seth … glash’noMaâr kumgalufrar Nglui’ooth


Von oben hörte sie ein knarzendes Geräusch und brach sofort ab, lauschte in die Dunkelheit hinein, streckte alle Sinne in die betäubende Schwärze aus auf der Suche nach dem Urheber dieser Störung. Wieder ein Knarzen, Knacken von alten Holzbohlen unter langsamen Schritten. Mehr und mehr ihrer Sinne wurden von ihrem Willen getrieben immer schärfer und ihr Körper durchlief eine kaum merkliche Veränderung.
Zuerst wurde ihr Atemrhytmus immer langsamer um störende Atemgeräusche zu minimieren, dann verlangsamte sich das Schlagen ihres Herzens, als auch sein Pochen die immer feineren Sinne des Mädchens zu stören begann. Als Begleiterscheinung wurde ihre Haut erst weiß, dann grau als die feinen Äderchen nur mehr langsam das Blut in ihrem Körper verteilten. Ihre Pupillen wurden größer und größer bis das sonst vorherrschende Grau nur noch ein dünner Rahmen neben unendlicher Schwärze darstellte. Ein feines Zucken umspielte ihre linke Augenbrae und etwas huschte über den Boden zu ihren Füßen, schlängelte sich über den Teppich in Richtung der Tür und kroch unter ihr hindurch in den Gang hinaus..... Nichts.

Der Flur der zur Bibliothek führte war leer.

Langsam, ganz langsam entspannte sich ihr Körper wieder und die Pupillen wurden kleiner und kleiner, bis sie wieder ihre normale Größe hatten, ihe Haut erhielt die blasse, doch im Vergleich geradezu rosige Farbe zurück.
Nach einer Ewigkeit in der sie den Atem angehalten hatte, hob und senkte sich ihre Brust wie unter einem inneren Zwang, als müsste sie sich erst wieder daran erinnern wie der Atemapparat funktionierte. Sie seufzte leise,ein bisschen gequält durch den offenen Mund und atmete drei vier Mal tief durch ehe sie den Blick wieder senkte und weiterlas.

…wen rief das endlose Dunkel… übersetzte sie die Zeile weiter … wer antwortete aus den lichtlosen Tiefen ... wer rief aus der Wüste … wer öffnete das Tor?




Sie blätterte um und betrachtete eingehend, wenn auch nur kurz die Zeichnung auf der Seite, spürte einen Ekel in sich aufsteigen als sie das froschähnliche Gesicht ansah, sich vorstellte wie eine schleimige, glitschige Zunge hervorglitt um sich lüstern über das Krötenmaul zu lecken.

Hätten die Inquisitoren eine wirkliche Vorstellung von den Abgründen der Hölle gehabt, wären sie vermutlich schreiend dem Wahnsinn verfallen … etwa so wie dieser geisteskranke Araber der die Urfassung jenes Buches geschrieben hatte, das sie nun vor sich liegen hatte.

Rasch schlug sie die nächste Seite auf, ließ ihre Augen rascher über den Text fliegen, verweilte nur ab und an bei den Zeilen und suchte dann rasch weiter. Sie saß seit Stunden hier unten und langsam würde sie sicher vermisst werden.

Aber hier irgendwo musste es doch ….

Seite um Seite blätterte sie durch das Buch und übersetzte nunmehr still im Kopf, was sie las. Kaum nahm sie noch die Zeichnungen und Abbilder der schrecklichen Gestallten wahr die auf vereinzelten Seiten thronten oder den Text ausschmückten.
Lediglich bei einem Bild blieb sie hängen und sei es auch nur, weil auf diesem, zum ersten Mal ein Mensch abgebildet war.
Tief sog sie die Luft in ihre Brust und einen Augenblick lang erinnerte sie sich an die Worte die ihr Großvater ihr gesagt hatte.



Narren! … Geistlose Narren die verlorene, arme Geschöpfe zu einem schrecklichen Tod voller Qualen und Schmerz verurteilten, weil sie hofften den Weg abzukürzen der vor ihnen lag. Die wenigsten waren Fähig auch nur zu begreifen was mit diesen bedauernswerten Kreaturen passieren würde und wenn sie es wussten, so waren sie zu verdorben um auch nur einen Funken Mitleid zu verspüren … Jene sind es, die wir dem Feuer preis geben um sie vom Angesicht des Ordens zu tilgen ..

Sie sah die Figur des gezeichneten Wesens und seines Opfers davor und verspürte Mitleid, wusste sie doch, dass es nicht nur einmal einer jungen Frau vor Jahrhunderten so ergangen war. Aus welchem Grund auch immer irgendwer auf die Idee gekommen war das Jungfrauen ein besonders lohnendes Opfer abgaben – Sexualität und sogar geschlechterunterschiede waren jenen Wesen herzlich egal – hunderte, vielleicht auch tausende junger Mädchen waren dem Wahnsinn geopfert worden.

Beinahe sanft strich ihr Finger über die schlanke Gestalt und ihre Augen schlossen sich, als sie einen kurzen Segenswunsch aussprach für all jene, die in diesem Bild ihr Schicksal wiedergefunden hatten.

„Glaubst du wirklich, das du darin etwas finden wirst was dir helfen wird in der Schule?“ erklang plötzlich in der Dunkelheit des Zimmers die Stimme ihres Großvaters. Schuldbewusst zuckte sie zusammen und rissen den Blick vom Buch hoch in den Raum hinein.

„Ich habe dir schon oft gesagt, du liest in der falschen Stimmung die falschen Bücher.“ Willbur Lovecraft trat aus dem Schatten in den Lichtkreis der Petroleumlampe und griff langsam nach dem aufgeschlagenen Buch, zog es ihr beinahe sanft unter den Händen weg und schlug es mit einem hörbaren Geräusch zu. Wie eine Explosion zogen sich die Schatten zurück und das Licht der Lampe erfüllte wieder den ganzen Raum.

„Und du weißt, dass ich es nicht schätze das du allein im Dunkeln sitzt, Victoria.“ Die Stimme des alten Lovecraft war streng, ebenso wie sein Blick der sich auf sie richtete als er sich direkt vor den Schreibtisch stellte.

Ria seufzte leise und verdrehte die Augen, schwieg aber. Sie mochte es nicht, wenn er sie Victoria nannte ... jedenfalls nicht in DIESER Tonlage.

„Ich weiß das du das nicht möchtest“ erklärte er nach einer Pause, wesentlich sanfter und hob das Buch auf, ging hinüber zu den Bücherregalen und stellte es wieder in den Schrank zurück, indem es gestanden hatte. Dann bewegte er seine Hand in der Luft hin und her und das Buch schien vom Bücherschrank aufgesaugt zu werden, verschwand von alleine in den Tiefen der dichtgestellten Buchrücken. „Aber wir müssen uns manchmal den Regeln der anderen beugen… du weißt es ist-„

„Es ist zu unserer aller Wohl und Nutzen“ vollendete Ria den Satz, den sie schon so oft gehört hatte, mit ätzender Stimme. Sie verschränkte schützend die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Ich hoffe du sagst das nicht auch, wenn die Seths-Kinder mich auf den Scheiterhaufen zerren.“ Das Bild der Frau vor dem Wesen aus Gallerte tauchte wieder vor ihren Augen auf. Es waren nicht nur Fanatiker auf Seiten der Magier gewesen an deren Händen das Blut von Unschuldigen klebte. Auch wenn vielleicht nur zehn Porzent der im Mittelalter verbrannten und zu Tode gefolterten Menschen wirkliche Hexen und Magier waren, so war der große, weit überwiegende Rest davon im besten Falle wohl eher so etwas wie ein Heilpraktiker gewesen. Was nicht hieß, dass die Inquisition nicht doch große Löcher in die spärlichen Reihen der Magiekundigen in Europa gerissen hatte. Intressanterweise waren jedoch kaum wirkliche Nekromanten und Diablonisten den Scheiterhaufen zum Opfer gefallen, ebensowenig wie die verbotenen Werke des schwarzen Maelificus, van Haag´s Beschwörungssammlungen oder eben auch die Ausgaben jenes Buches, das nun wieder im Schoße des Bücherschrank in ihrem Rücken hinter mächtigen Bannformeln schlummerte.

Ria hatte sich einmal schlimm an einer Zuckermassenmischung verbrannt (sie wollte damals unbedingt eigene Bonbons herstellen, nach dem Rezept ihrer Ur-Urgroßmutter). Die klebrige Masse hatte sich fast bis auf den Knochen durchgebrannt ohne merklich kühler dabei zu werden (es waren mehrere Tage unter einem Heilzauber ihres Großvaters vergangen ehe die Stelle abgeheilt hatte) und seitdem hatte sie eine panische Angst davor zu verbrennen. Oft stellte sie sich vor was die Männer und Frauen durchgestanden haben mussten, auf der Spitze eines Scheiterhaufens festgebunden oder in den heißen Luftsog direkt darüber angebunden. Welche Schmerzen sie wohl erlitten hatten, ehe die gnädige Ohnmacht alles weitere ausgelöscht hatte. Sie schauderte noch immer bei dem Gedanken.

Ihr Großvater lächelte milde über den zornigen Ausbruch seiner Enkelin. Vielleicht hatte er auch erraten was ihr gerade durch den Kopf ging. „Diese Zeiten sind schon lange vorbei“ sagte er und drehte sich langsam ihr zu, das faltige Gesicht zeigte kaum noch etwas von der strenge die er gerade eben noch zum Ausdruck gebracht hatte. „Ich bezweifle, dass es noch irgendwo einen Inquisitor für ungehorsame Mädchen gibt, die nicht zur Schule gehen wollen.“

„… es ist nicht die Schule, die mir Angst macht..“ murmelte Ria und griff nach ihrer Tasche, stand auf und verließ mit raschen Schritten die Bibliothek. „..ich muss los“ rief sie noch über die Schulter hinweg, dann war sie draußen.

Lange sah ihr Großvater ihr nach und sein altes Gesicht zuckte leicht als er ihr einen Gruß nachflüsterte und murmelnd meinte. „Als ob ich das nicht wüsste …“ Seine ganze Körperspannung sackte in sich zusammen als er fühlte wie Ria das Haus verließ um den Bus noch zu erreichen. Sorge und Zweifel ließen die Furchen in seinem Gesicht noch tiefer wirken und seine ansonsten klaren Augen wirkten milchig. Momente wie diese gab es seit dem Tod seiner Frau häufiger, doch hatte er niemals zugelassen das seine Enkelin ihn so sah.

Ächzend ließ sich der alte Mann auf den gerade frei gewordenen Sessel sinken und faltete seine Hände über den angehäuften Büchern und Manuskripten die Victoria zur Untermauerung ihrer Studien hervorgezogen hatte.
Lange Zeit saß er da und blickte mit leeren Augen auf die aufgeschlagenen Bücher, stieß hin und wieder einen leisen Seufzer aus.

"Es wäre schön" sagte er dann in die leere des Raumes hinein "wenn du ein Auge auf sie haben könntest..zwei Augen, wenn du sie gerade entbehren kannst."

Aus dem leeren Zimmer ertönte keine Antwort aber er spürte wie - gleichsam einer sanften Brise im freien, die über sein Gesicht strich- der Fluss der Magie, der ihn umgab aufgewühlt wurde als sich eine Präsenz aus seinem Umfeld löste und aus dem Raum strebte.

Ein feines Lächeln, das aber in seiner momentanen Stimmung traurig wirkte, umspielte die faltigen Lippen von Wilbur.

"Zeit für einen Tee" murmelte er und stand auf.

Ria - Nächster Post


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16.04.2023 17:55 (zuletzt bearbeitet: 18.04.2023 22:44)
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Hausmeister

Shane - letzter Post
Ria - letzter Post

Charaktere: Shane / Ria
Geschichtsstrang: Entdeckung 2


Shane hatte das hohe, schmiedeeiserne Tor ohne Probleme aufdrücken können, obwohl der Riegel und das kunstvoll verzierte Schloss den Eindruck machte als könne es problemlos einen heranrasenden LKW stand halten. Ihm war lediglich aufgefallen das, als er durch das Tor trat, jedes Häärchen auf seinem Körper wie unter einer statischen Spannung geladen aufgerichtet hatte.

Vielleicht war es aber auch nur eine kühle Brise gewesen die ihm gerade über den Nacken gestrichen hatte.

Der Kies knirschte leise unter seinen Schritten als er die gewundene Auffahrt hinauf zum Haus ging, das von der Straße her dunkel und bedrohlich - beim näherkommen aber dann doch wie ein ganz normales Haus aussah. Er nahm die Gerüche des Gartens kaum wahr und nur im Unterbewusstsein hörte er das sich der Wind in dem armlangen Windgras fing und die Blätter oder Nadeln der unterschiedlichen Baumsorten auf dem Grundstück aneinander rieb. Was ihm jedoch auffiel war, dass fast sofort sämtlicher Lärm der Stadt, der immer Unterschwellig in der Luft hing, erst wie durch Watte hindurch vernehmbar und dann gänzlich abgeschirmt wurde, bis nur noch der Wind und das regelmäßige Knirschen seiner Schritte hörbar waren, dann das leise Tapp-Tapp auf dem flachen Felsplatten die das Haus umgaben.

Das Klopfen an der Tür hallte merkwürdig laut durch die Eingangshalle des Anwesens und gerade als Shane dachte das keiner Zuhause war und sich schon zum gehen wenden wollte, öffnete sich die doppelflügelige schwarzbraune Eichentür mit einem ganz leisen Knarren wie durch Geisterhand geöffnet selbst und schwang langsam herum.

Die Türöffnung wirkte wie ein gähnend aufgesperrtes, schwarzes Loch und nur schemenhaft konnte er erkennen das der Boden hinter der Tür mit großen, weißen Kacheln gefließt war. Das Licht stand aber ungünstig, so dass er keinen tieferen Blick hinein nehmen konnte, es sei den er würde den Kopf durch die Türe strecken.

Gerade als er den Mut aufbrachte einen Schritt vor zu treten, erschien die schlanke Gestallt von Ria im Türrahmen und versperrte ihm die Sicht. Sie trug ihre üblichen Klamotten, schwarze Jeans, ein ebenso gefärbter Rollkragenpulli und Turnschuhe, die zur Abwechslung ein wenig weiß enthielten. Fast so weiß wie die Haare auf ihrem Kopf.
Fragend, aber nicht abweisend sah sie Shane an der unwillkürlich einen halben Schritt zurückgewichen war.

Die schweigsame Pause dehnte sich über die Länge von drei, vier Herzschlägen aus ehe Ria leise : "Ja?" sagte. Einen kurzen Moment hatte Shane das Gefühl das sich im Schatten hinter der jungen, heranwachsenden Frau etwas bewegte, über den Boden hinweghuschte und verschwand.


Eine wage Erkenntnis überkam Shane. Er spürte ihre Aura, genau so wie in der Schule schon. Doch traute er sich nie dem nachzugehen. Kurz war er zu überfordert um zu antworten. Seine Entdeckung hielt er vor der Brust fest. Er tappte nervös mit den Fingern nacheinander auf den Umschlag. „Hi...“ gab er zur Antwort. Unsicher ob er sich vorstellen muss. „Ich suche Willbur Lovecraft.“ Er hob leicht verlegen den Brief an. „Ich hab gehört er kann diese alte Schrift lesen.“

Ein freudloses Lächeln huschte über Ria´s Züge als sie gerade den Mund öffnete um mit einer Standartfloskel ihr Bedauern auszudrücken, da Ihr Großvater Willbur außer Haus war. Dann stockte sie und ihr Gesichtsausdruck wurde konzentrierter.

Sie hatte den Typen schonmal gesehen - richtig! In der Schule. Sein Name fiel ihr gerade nicht mehr ein, aber es hatte irgend einen Rummel um ihn gegeben. Ria hatte sich damals weder einen Reim darauf machen können, noch hatte es sie sonderlich interessiert. Jetzt jedoch fühlte sie wieder das selbe "Kribbeln im Nacken", das sie bei dieser Vampirin, Viola Sonst wer, gehabt hatte. Wieder fühlte sie diese körperlose Stimme in ihrem Kopf eine ganze Litanei herunterrasseln, angefangen von den verschiedenen Typ-Namen für Vampire, ihre klassifizierung im Homo Necro, einem Lexicon für Untote Mensch-Wesen und zu guter letzt sogar ettliche Bann- und Widerbannsprüche.

Aber das waren alle nicht "ihre" Gedanken, als sie ihn ansah, sondern lediglich etwas - das einem durch den Kopf blitzte, wie ein geistiges Lexikon.

Trotz alle dem, es war unwahrscheinlich das ein Vampir-Jugendlicher sich mit altertümlicher Forschung beschäftigte .... unwahrscheinlich, aber eben nicht unmöglich.

Ein wenig sarkastisch, aber nicht unhöflich oder unfreundlich, sagte sie daher: "Ich glaube, wenn es nicht Mesopotamisch oder Hurritisch ist, wird es ihn wohl kaum interessieren."
Dann zögerte sie, ehe sie zur Seite trat um den Eingang frei zu geben.
"Du kannst aber gerne hier warten, wenn du möchtest.." Sie wollte noch eine Warnung hinzusetzen, das dies keine dauerhafte Einladung war, schwieg dann jedoch. Das Haus hatte keine bösen Absichten in dem jungen Vampir gespürt und deshalb hatte die Barriere am Tor ihn auch passieren lassen, also war es wohl in Ordnung.

Als sie sich abwandte und langsam vor ihm her über den spiegelnden Boden des Eingangsbereiches die flachen steinernen Stufen hinunterstieg die zum 'Willkommensbereich', einem Wohnzimmer nicht unähnlich, führten fragte sie noch, ohne sich dabei umzudrehen: "Möchtest du einen Tee? ..." kurz stockend setzte sie hinzu "...also einen den auch jemand mit deinen ... Vorlieben ... trinken kann?" Dabei wies sie einladent auf das bequem anmutende Sofa vor einem, jetzt kalten, Kamin.

Shane folgte der Aufforderung und trat ein. Er sah sich staunend in der Eingangshalle um, nicht aber ohne das Mädchen ausser Acht zu lassen. Sie wirkte ein wenig seltsam auf ihn. Ähnlich wie in der Schule. Niemand mit grosser Klappe, im Gegenteil. Sie strahlte ruhe aus, wenn auch etwas beklemmende. Er setzte sich, den Brief weiterhin in den Händen. Er musste aufpassen, dass er ihn aus Nervosität nicht so sehr anfeuchtete, dass er unlesbar werden würde. Gerade wollte er auf die Schrift zusprechen kommen, als sie ihm Tee anbot. Mit seinen Vorlieben? Wie zum Teufel...? So neugierig er auch war, irgendwie schien es ihm besser, nicht danach zu fragen. „Ähm... Nein danke.“ sagte er und bereute es sofort. „Ich meine... sehr nett aber...“ er verstummte. Sei einfach still. Man hatte ihm Manieren beigebracht aber irgendwie vergass er die gern wenn das Unbehagen zu gross wurde. Er sah auf den Brief, dann zurück zum Mädchen. „Also ich weiss nicht was das für eine Schrift ist. Es ist aus einem meiner uralten Enzyklopädien gefallen... und ich hoffe es steht etwas interessantes drin...“ etwas was ihn bei seiner Suche endlich einen Schritt weiter brachte.

"Was verstehst du den unter 'Uralt'?" fragte Ria und ging dann mit fast schon bedächtig, fließenden Schritten in die Küche hinüber. Dort füllte sie Wasser in eine altertümlich anmutenden Teetopf aus schwarzem Gusseisen und stellte ihn auf den Herd, räumte drei Tassen aus dem Schrank und platzierte sie auf einem Serviertablett, ebenso wie Zuckerstückchen in einer filigranen Porzellandose. Nachdem sie so die Vorbereitungen getroffen hatte ging sie zu einem Schrank der in der gegenüberliegenden Ecke der Küche stand und entnahm ihm eine Büchse, die mit vielen Blüten, meist Gänseblümchen, bemalt war und stellte sie ebenfalls auf das Tablett.

Während das Wasser anfing zu kochen schlenderte sie wieder zu ihm hinüber, lehnte sich in den Türrahmen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah Shane auffordernd an.



Shane sah ihr nach. Uralt? Naja.. Er blickte auf den Brief, als er wieder aufsah war sie verschwunden. Nanu? Kurz darauf tauchte sie wieder auf und sein besserer Hörsinn nahm wahr, dass im Raum hinter ihr etwas kochte. "Weiss nicht. Uralt eben." Er lächelte verlegen über seine Unwissenheit. Ihn beschlich die wage Vermutung, er hätte vielleicht das Buch mitbringen sollen. Er hob den vergilbten Brief an. "Vielleicht so alt wie diese Schrift?"

Mit einer ziemlich "weiblichen" Art stieß sich Ria von dem Türstock ab, überbrückte die Distanz zwischen sich und ihm mit zwei, drei federnden - aber dennoch ruhig-fließenden - Schritten und hielt ihm die Hand auffordernd entgegen. Ein wenig zögernd ließ er das Blatt in die ausgestreckte Hand sinken, hielt es noch einen Augenblick lang fest ehe er es schließlich los ließ.

Ria nickte dankend und zog die Hand wieder zurück. Das Papier war ... Ihre Fingerkuppen strichen über die Flächen, die Kanten und sie runzelte leicht die Stirn. Es fühlte sich merkwürdig an, nicht wie Papier oder Pergament, eher wie ...

"Charta Linteis" sagte sie ohne Shane direkt an zu sehen dabei. Da sie zwar vorsichtig war, gleichzeitig kein Risiko eingehen wollte, bewegte sie ihre freie Hand mit leicht gespreizten Fingern einmal im Halbbogen von sich weg durch die Luft und der Brief begann sich wie von selbst aufzufalten. Es knisterte leise als es sich auszustrecken begann und jede Falte, jeder Knick der über die Jahre hinweg das Papier mit Spuren wie mit Äderchen durchzog, straffte sich wieder, bis der Brief fast wie neuwertig in ihrer flachen Hand lag.

"Leinenpapier" erklärte sie ihm die Übersetzung. "Wurde vor 1300 anno Domini oft für wertvollere Abschriften oder Schriftgut verwendet. Hauptsächlich von arabischen Gelehrten in Spanien und Andalusien die in der Herstellung weit versierter waren als ihre europäischen Gelehrten.... nach der Einführung und der Verbreitung von Papier jedoch immer seltener benutzt worden." Ihr Großvater hätte alleine vom färbungsgrad des Papiers eine genauere Bestimmung der Jahreszahlen vornehmen können. Sie blickte noch immer auf das Papier und nicht auf den Text darauf. "...es wurde Recycelt .. " sagte sie leise und hob die Hand mit der jetzt knapp über der Handfläche schwebenden Papierseite hoch, um das darauf fallende Licht in einem anderen Winkel zu betrachten.
"Es wurde zuvor mit Bimsstein abgerieben um einen Text, der zuvor auf der Seite stand, zu löschen." Sie ließ die Hand wieder sinken und ihre grauen Augen verengten sich zu Schlitzen als sie jetzt die Schrift in Augenschein nahm. Die Buchstaben waren mit einer Feder oder einem geschrägten Holzspart geformt worden, man erkannte das an den oftmals Hakenförmigen enden eines Buchstabens. Hier schien der Schreiber aber bewusst seinen Buchstaben an den Enden jedes Strichs einen Verlauf der Tinte wie von schwarzen Zähnen gegeben zu haben.
"Ich kann lediglich sagen das, das wohl .... ne alte slawische Sprache ist ... Moldawisch oder Masuryisch .. ich kann die Sprachen nicht wirklich, lediglich ein paar Bruchstücke lesen ...."

Sie leckte sich leicht über die Lippen ehe sie ganz leise vor sich hin murmelnd "'Vampyrshi'" sagte. "Das ist das einzige Wort das ich hier lesen kann und es dürfte auch ziemlich selbsterklärend sein." Damit hob sie den Kopf wieder und übte die selbe Handbewegung wie vorhin, nur jetzt umgekehrt aus und der Brief faltete sich wieder zusammen. Ehe sie ihm diesen zurückreichte sagte sie: "Du hattest zumindest damit Recht das er ziemlich alt sein dürfte."

Die Enttäuschung über die wenigen Informationen von Victoria sind ebenso gross wie das Erstaunen was sich vorhin in Shanes Blick ausbreitete als sie ihre Kräfte benutze um den Brief zu entfalten. Er sah auf den Umschlag. Eigentlich hatte er eh zu diesem Mann gewollt der hier wohnte, weil dieser sich doch mit den alten Schriften auskennen soll. Er selbst konnte mit dem was Ria ihm über die Beschaffenheit des Papieres erzählte nur wenig anfangen. Er wollte wissen was da steht. Das war viel wichtiger. "Kann Mr. Lovecraft das denn lesen? Kommt er bald?" Sie hatte gemeint er solle hier warten, doch schien sie nichts unternommen zu haben um den Mann auf Shane Aufmerksam zu machen. Wohnte er überhaupt noch hier? Oder war er gar nicht da? Hielt sie ihn etwa hin?



Ria sah auf die große Uhr über dem Kamin und zuckte leicht die Schultern. "Er ist um die Uhrzeit meistens in der Universität bei einem alten Freund .. ich denke in ein, zwei Stunden dürfte er wieder zurück sein." Ihr Blick senkte sich wieder auf Shane und eines ihrer seltenen, ehrlich gemeinten Schmunzler huschte über ihre Lippen.

"Geduld zählt nicht zu deinen Stärken, oder?" Shane blieb ihr eine Antwort schuldig, den in dem Moment ertönte ein sich steigerndes Pfeiffen aus Ria´s Rücken worauf die junge Teenagerin sich umdrehte und zurück in die Küche ging.

Allein gelassen saß Shane auf dem Sofa, hörte wie sie leise klappernd den Teetopf vom Herd zog und mit der Teezubereitung begann. Er hatte nun Zeit zu bemerken, dass der Raum zwar altmodisch eingerichtet war aber eine ganz eigentümliche Gemütlichkeit ausstrahlte. Das Haus, das von außen noch so bedrohlich gewirkt hatte, war von innen ganz ... heimelig. Zwar fiel ihm auf das es viele dunkle Ecken gab, zwischen den Dachbalken oder den Figuren die an den Wänden gereiht die Vertäfelungen schmückten. Auch der Kamin war verziert. Schlanke Frauengestallten die dem glasierten Rahmen hinabstürzten, wie Meerjungfrauen in einem Wasserfall. Schäumende Wellenkanten türmten sich unter einem Spiegel zu einem Rahmen der das Glas an Ort und Stelle hielt. Dann jedoch zogen näherkommende Schritte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich und er sah wie Ria mit dem Tablett auf den Armen wieder zurück kam.

Sie setzte es vorsichtig auf dem niedrigen Tischchen ab das vor dem Sofa stand und ließ sich in den einsamen Kaminsessel nieder, der die beiden Sofas voneinander trennte und an der Stirnseite des Tischchen stand. Sie schlug die schlanken Beine übereinander aber der Eindruck ging an ihm irgendwie vorüber. Viel "interessanter" war der würzige Geruch der aus der Porzellankanne zu ihm herüber wehte. Er roch metallene schwere und eine Süße die ihm irgendwie vertraut und doch fremd zugleich vorkam.

"Harpagophytum procumbens" sagte Ria und schenkte eine Tasse voll des hellroten Getränk ein. "Rotes Teufelskreuzkraut, auch als Blutwurzel oder Vitae Acteosid bekannt.Man sagt ihm nach das selbst Vampire es trinken können, ohne das ihnen davon übel wird." Sie hob die Tasse an die Lippen und pustete auf die dampfene Oberfläche, von der sie dann vorsichtig nippte.

Etwas verwirrt sah er Ria zu. Blutwurzel? Nie gehört. Und sollte er darüber gelesen haben, dann hatte er es vergessen. Sie benutzte eine Menge Fremdwörter, genau wie seine Bücher, was sie ihm ein wenig... wie sagte man höflich? Ungreifbar erscheinen liess. Nichtsdestotrotz, konnte er sich diese Wörter nie in Erinnerung behalten. Aber er hatte in einem der Bücher schon gelesen, dass so manch alter Vampir keine simlische Nahrung zu sich nehmen konnte. Die Mägen derer, waren schon so lange nicht damit gefüllt worden, dass sie verkümmerten. Nicht so Shanes Magen. Er trainierte ihn regelmäßig. Nicht nur weil er keinen 'Blutmagen' wollte, auch weil er es liebte gut zu essen. Blut zu trinken, war ihm immer zuwider. Es schmeckte nur wenn er durstig war und dann auch nur mit bitterem Nachgeschmack, wenn ihn die Schuldgefühle überkamen. "Etwa wie Plasmafrüchte?" fragte der junge Vampir neugierig auf jede Art Blutersatz. Aber sicherlich, war auch dieses Kraut nur mäßig geeignet. Es gab nun mal nichts was Blut ersetzen konnte. Und wenn das wirklich eine Art Ersatz war, der es schaffte vampirischen Durst zu stillen... es wunderte ihn, dass Ria davon trank. Er las, dass zumindest Palsmasaft nichts ist was normalen Sims bekam. Wobei... sie war ja auch kein normaler Sim.

"Selbe Familie, allerdings erdnah - keine Bäume sondern Krautranken am Boden. Sie mögen es sandig und sind entzündungshemmend und stark eisenhaltig. Allerdings zuviel sollte man nicht davon trinken, nach einer Kanne etwa kehrt sich die heilende Wirkung um und der Körper versucht möglichst schnell alles wieder los zu werden. Aber verträglich für Strig.." Sie brach ab und sah Shane entschuldigend an. "Vampire" Strigoi oder Vukhulflad´s waren eher abwertende Bezeichnungen für die "Kinder der Nacht", bezeichnend eher für jene die dem "Tier" in sich nachgegeben hatten und zu einer Abnormität wurden die keine Gesetze, keine Regeln und auch keinen Anstand mehr hatten. Strigoi war noch der am häufigsten gebrauchte Typ-Name den Gelehrte verwendeten. Er leitete sich von dem Wort Strix, einer Nachtohreule, ab, die nach römischen Glauben Blut trank. 'Richtige' Strigoi waren dagegen, auch wenn sie Blut tranken, keine possierlichen Tierchen sondern gaben ihre menschliche Form für etwas ungleich ... dunkleres auf. Ria mochte es nicht in Schubladen wie 'gut und böse' zu denken - aber sie wollte auch keinem Strigoi über den Weg laufen, nicht mal Tagsüber. Vukhulflads dagegen waren selbst für Vampire eine umkehr der Natur ihres untoten daseins. Zwar gab es von diesen "Supervampiren" (wenn man so wollte) immer nur eine Hand voll, aber da sie die Vitae ihrer Kainsbrüder vorzogen und Jagd auf diese machten (wie größere Raubfische auch kleinere Räuber fraßen) waren sie eine ständige Bedrohung. Und ihre "Essensgewohnheiten" waren laut dem Homo Necro mehr als 'gewöhnungsbedürftig'.

"Wenn ich fragen darf ..." begann sie und erinnerte sich wie Viola auf die Fragen von ihr reagiert hatte. Ihre Lippen schlossen sich wieder, doch dann zuckte ihr inneres Ich die Achseln. "... Wie ist es so?"



Die beliebte Frage. Obwohl er selten gefragt wurde, da er kaum Kontakte hatte, hasste er es sie zu beantworten. Es war ja auch suhuuper den Leuten erzählen zu müssen wie schlecht es ihm damit in wirklichkeit ging. "Okay." log er deswegen und wich aus. Er wusste zwar, dass seine Lügen immer schnell durchschaut wurden, aber vielleicht verstand sie ja den Wink. Ihre Aura, ihre Art wirkte immer noch ein wenig.. einschüchternd. Die grosse Halle in der sie sassen und die ihre Stimmen merkwürdig wiedergab, machte es nicht besser. Er wollte den Brief entschlüsseln und dann wieder gehen. Dabei fiel ihm ein, dass der Professor vielleicht eine Gegenleistung verlangte. Er hatte gar nichts was er bieten konnte... Mist... Er blickte zu Ria. "Nicht okay." entschied er sich um. Sie würde vielleicht dafür sorgen, dass ihr ... Grossvater? Vater? ihm auch so half. Wenn er sich gut mit ihr verstand.. warum auch nicht? Oder? Er zuckte die Schultern. "Naja wie ist es wohl, wenn Sonnenlicht einen verbrennt und Blutdurst einen Wahnsinnig macht wenn man ihn zu lange ignoriert.." Ohje. Das klang forscher als er wollte. Er sah zurück zum Brief. So viel zum beliebt machen. Blödmann.

"Oh, das mein ich gar nicht" antwortete Ria und hielt einen Moment ihre Tasse in Mundhöhe fest, sah über den Rand hinweg hinein und betrachtete die Lichtreflexe auf der Oberfläche.

"Ich meinte eigentlich ... mit 'normalen' Menschen zusammen zu sein." Ihre Stimme wirkte eigenartig fern, mehr nach innen gerichtet als direkt an Shane.
Dann jedoch hoben sich ihre grauen Augen ruckartig und sahen Shane einige Sekunden durchdringend an - als würde sie erwarten das er sich über diese Frage lustig machte. Als die erwartete Reaktion aber aus blieb, verblasste die Intensität des Blick und sie lehnte sich zurück, schien sich in den Sessel zu "verkriechen" als sie den Blick abwandte und schwieg. Langsam hob sie die Hand und nippte von ihrer Tasse.

Shane ahnte, dass sie diese Frage absichtlich so gestellt hatte. Auch wenn er sonst nicht so 'gut' darin war sich mit Leuten zu unterhalten, geschweige denn zu erkennen was wie sie sich fühlten, wie sie dachten, oder ausstrahlten, gab es hin und wieder 'Glückstreffer' oder besser gesagt, unerwartete Eingebungen. Seine Überlegung war, dass er so eine Frage nur stellen würde, wenn er selbst nicht wusste wie er sie am besten beantworten sollte. Und sie war genau so anders wie er. Okay. Genau so nicht aber eben... auch. "Warum? Wie ist es bei dir?" fragte er deswegen zurück und beäugte die silberhaarige Gastgeberin.

Ria seufzte, trank noch einen Schluck Tee ehe sie leise "es ist ....kompliziert" sagte und dann den Kopf hob. In ihrer sonst sanften, ruhigen Stimme klang etwas melancholisches mit aber sie erholte sich schnell wieder.

"Dein Brief" hob sie den Faden wieder auf und die emotionale Färbung ihrer Stimmlage verschwand wieder.".. du meintest er wäre aus einem Buch gefallen? Was den für eines?"

So wie manch Beziehungsstatus auf Simbook. Dachte Shane. Simbook. Ein Luxus den er seit zwei Jahren... eigentlich nicht mehr vermisste. "Ein Nachschlagewerk über Vampire..." Das er es gestohlen hatte, verschwieg er. "Es ist auch nicht einfach zu lesen aber.. es ist wenigstens nicht in einer fremde Sprache." Shane überlegte. "Ich hoffe ja, in dem Brief steht auch etwas über Vampire drin. Nicht dass es nur ein alter Liebesbrief an den Be... Vorbesitzer ist..." Er lächelte verlegen.

Ria nickte leicht. Alte Dialekte oder auch nur aus der mode gekommene Floskeln und Wortbeispiele konnten einen normalen Text in ein Palypses verwandeln. Wenn man dann einen Text in der Hand hatte der zu Zeiten von Rechtschreibungen von vor drei Jahrhunderten geschrieben wurde konnte man schon schnell verzweifeln.

"In der Regel, junger Mann" ertönte die wohlklingende, tiefsonore Stimme von Wilbur Lovecraft, der wie hergezaubert im Eingangsbereich des Hauses stand. Shane hätte schwören können das der alte Mann keinen Schlüssel im Schloss herumgedreht hatte.
"In der Regel" wiederholte Willbur "werden Liebesbriefe von seinem Empfänger nicht in einem Nachschlagewerk über Vampire versteckt sondern in Tagebüchern, Romanen und ähnlichen Schriftgut." Langsam, mit der Selbstsicherheit die sein Alter Lügen strafte, schritt der Mann die wenigen Stufen hinunter und öffnete seinen Mantel. Er hatte einen typischen "Engländer" auf dem Kopf den er sich nun ebenfalls auszog und einmal mit kräftigen Schwung ausschüttelte.

Ria hatte sich erhoben und nahm ihrem Großvater Mantel, Hut und Schal ab. Sie schien sich an dem plötzlichen Erscheinen des alten Mannes nicht zu stören. "Es ist Tee da, wenn du möchtest." sagte sie und trug die Kleidung dann aus dem Raum, ließ Shane mit ihrem Großvater alleine, der ihr noch "Danke, meine Liebe." nachrief.

Dann wandte sich Willbur an Shane und bernsteinfarbene Augen musterten den jungen heranwachsenden Mann.
"Ich bin Willbur Lovecraft" sagte er - als ob es daran noch einen Zweifel geben könnte. "Zweifellos kennst du bereits meine Enkelin und ich gehe wohl recht in der Annahme, das ihr gemeinsam die selbe Schule besucht." Seine Blick huschte in die Richtung in der Ria verschwunden war.

Er wirkte wie ein fleischgewordener englischer Lord um 1900 rum. Der feine Tweet, die Cordhose, sogar seine Schuhe waren perfekt in Schuss und nicht eine Faser lag nicht dort, wo sie nicht sein sollte.
"Aber verzeih mir wenn ich mich in euer Gespräch eingemischt haben sollte, Junge" Er setzte sich in den Sessel den Ria frei gemacht hatte und beugte sich nach vorne um der Teekanne einen prüfenden Blick zu gönnen und dann wohlig seufzend eine Tasse des dunkelroten Getränks einzuschenken. Dann lehnte auch er sich in die Polster des Sessels zurück und sah Shane abwartend an, während er einen Schluck von seinem Tee nahm.

Erst nachdem Willbur sich hinsetzte, wagte auch Shane sich wieder nieder zu lassen. Der Mann schüchterte ihn fast so sehr ein wie Ria, aber auf ganz andere Weise. Ausserdem wirkte er wärmer und freundlicher, trotz der grossen Ausstrahlung die Shane kleinlaut machte. „M-mein Name ist Shane. McEven.“ gab er an ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Obwohl er den Blick lieber abwenden wollte, schaffte er es nicht. Zu faszinierend. „D-die selbe Schule, ja.“ dieses Stottern schon wieder. Schon oft fiel es ihm auf. Es war so entnervend. „Aber ich bin wegen I-ihnen hier.“ Shane schluckte. Sich daran erinnernd, dass er ein verdammter Vampir ist - verdammt traff es erstaunlich gut - und er fliehen konnte wenn er musste, ganz leicht als Fledermaus. Naja hoffen konnte er das ja. Nicht nur die Hausbewohner hatten diese spezielle Aura, auch das Haus schien in irgendetwas gehüllt. Das bemerkte er erst als er das grosse eiserne Tor passiert hatte. Shane hob den Briefumschlag an um Willburs Aufmerksamkeit darauf zu lenken. „Ich muss wissen was hier steht.“ erklärte er. „Würden Sie mir weiter helfen?“ er fragte absichtlich nicht ob er „konnte“, denn nach dem was Ria schon von sich gegeben hatte, zweifelte er nicht an dem Professor. Und die Bibliothekarin hatte dies ebenso bekräftigt. Der Mann war berühmt auf eine Art. Dieser Ruf kam bestimmt nicht von irgendwo.

Willbur ließ seinen Blick einen langen Augenblick auf Shane gerichtet, ehe er freundlich lächelnd erwiderte : "Eine Freude dich kennen zu lernen, Shane. Zu wenige junge Leute heut zu tage, beschäftigen sich damit ihren Horizont zu erweitern. Wenn ich dir helfen, kann - tue ich das gerne." Erst jetzt blickte er auf das Papier. "Ein junger, strebsamer und forschender Geist soll nicht vom Wissensdurst geplagt sein." Noch hatte er keine Anstalten gemacht Shane den Brief ab zu nehmen. "Allerdings gibt es für meine Hilfe auch Grenzen, über die ich nicht bereit bin zu diskutieren." Stille herrschte kurz zwischen ihnen, dann lächelte Willbur wieder. "Nein, ich rede nicht von so etwas plumpen wie etwa eine Bezahlung. Wissen ist zwar ein kostbares Gut aber ich finde jeder sollte soviel davon erhalten wie möglich .. Kostenfrei und ohne beeinflussung durch Geld oder Ansehen.... Aber ..." Er setzte sich gerader hin, beugte sich ein wenig zu Shane hinüber und sah ihm wieder tief in die Augen. "... nicht jedes Wissen ist für jeden strebsamen Geist geeignet. Wenn dieser Text .. sagen wir mal .. Wissen beinhaltet das für jemand anderen oder für dich selbst zum Schaden gereicht, werde ich dir nicht helfen und du wirst auch nicht versuchen durch einen anderen Sprachwissenschaftler an das Geheimnis dieses Zettels zu gelangen." Willbur wirkte nicht unhöflich oder gar bedrohlich. Lediglich bestimmt und fest wie ein Felsen. "Ist das für dich akzeptabel, Shane?" fragte er nach einer kurzen Pause.

Shane sah den Mann lange an. Wägte ab. Entweder er suchte sich jemand anderes der ihm half, was unter Umständen zu lange dauern konnte. Lächerlich, er war ja unsterblich. Dennoch.... Oder er verlor alles... Hm. Die Ungeduld siegte leider. Er nickte vorsichtig. Er war nicht auf der Suche nach etwas 'gefährlichem'. Also konnte es ihm doch egal sein wenn er das 'Gefährliche' für sich behielt... Allerdings... Sein nicken stoppte abrupt. "Was schätzen Sie denn als Gefährlich ein, für mich oder andere?" So unvermittelt sein Stottern immer auftauchte, kam auch diese seltsame Selbstsicherheit nun auf.

"Nun, mein lieber Junge es gibt vielschichtigeres Wissen - etwa kann Atomkraft wahrhaft segensbringend eingesetzt werden aber sie hat dennoch den Haken, das eine Gefahr mit ihr einher geht die nicht so offensichtlich wie ihr Nutzen ist. Ein Mensch mag die Atomkraft dafür nutzen, Licht in alle Häuser zu bringen. Kühlschränke und Fernsehapperate zu versorgen, Lebenserhaltende Maschinen zu betreiben .. andere hingegen nutzen das Wunder der Spaltung dazu unermessliches Leid über ihre Mitmenschen zu bringen, durch eine Spirale der Gewalt und der Abschreckung Dinge zu erschaffen, die sie selbst kaum zu kontrollieren verstehen. Du bist vielleicht zu Jung um es miterlebt zu haben, aber du kennst dennoch den Namen des Wladimir Iljitsch Lenin-Kraftwerks in der Ukraine. Sicher, nicht unter diesen Namen - ist es doch unter den Namen Tchernobyl bekannt geworden. In diesem Fall sind gute Absichten in einer schrecklichen ... furchtbaren Katastrophe verpufft wie Wasser im inneren eines Reaktors. Derartiges Wissen hätte unserer Rasse erst in sehr viel späterer Zeit zufallen sollen, wenn wir vielleicht reif genug gewesen wären es zu verstehen." Seine Stimme war langsamer geworden um die schwere des gesagten wirken zu lassen.

Willbur lehnte sich zurück und trank einen Schluck Tee. Offenbar gefiel ihm, das Shane nicht ohne zu zögern Ja gesagt hatte und erst Nachforschungen über die Bedingungen des Handels anstellte. "Es gibt zum Beispiel Tränke und Tinkturen die,- richtig angewendet - Menschen mit gewissen Erkrankungen helfen können ein erfüllteres Liebesleben zu führen .. nenne sie gerne meinetwegen Liebestränke oder so... aber in den falschen Händen kann jemand durchaus gezwungen werden einen anderen zu lieben - selbst gegen seinen oder ihren Willen - und Dinge zu tun, die sie ohne den Einfluss dieses Mittels nie gestatten würden." Sein Tonfall machte klar, das er grundsätzlich gegen derartige Anwendungsmethoden war. "Und schließlich gibt es noch Wissen.." wieder trank er einen Schluck und kostete das Teufelskraut lange nach ehe er schluckte. ".. Wissen, das jemanden ein Geheimnis offenbart, für das er nicht reif oder weise genug ist. Vielleicht wird er auch das nie sein und .... in der Regel zeigen sie schon dadurch, wie sehr sie es erfahren möchten deutlich, das sie nicht bereit sind dafür."

Er nahm sich Zeit dem Tee in seiner Tasse einige Augenblicke lang zuzusehen, ehe er weitersprach.
"Sie erhoffen sich, dadurch an Macht oder Einfluss zu gelangen und übersehen dabei, das sie ihre Gesundheit .. sei es körperlicher aber auch geistiger Natur .. aufs Spiel setzen. Ich weiß nicht ob du in klassischer Literatur bewandert bist, empfehle dir aber durchaus "FAUST" von Goethe zu lesen. ...Man erhält niemals etwas aussergewöhnliches ohne einen Preis." schloss er und trank wieder einen Schluck um die Reaktion von Shane beobachten zu können.

Aufmerksam hörte Shane zu. Zunehmend wuchs seine Enttäuschung. Er fühlte sich wieder wie damals bei Veros Vater. Ein Erwachsener der es ‚besser‘ wusste. Und was konnte er dagegen tun? Nichts. Warum? Weil er ja so ein ‚dummes‘ Kind war. Shanes Stimmung schwang um und ein geübtes Ohr mochte in seiner Stimme erkennen in welche Richtung. „Dann kann ich ja nur Hoffen, dass es sich doch nur um einen Liebesbrief handelt. Sonst werde ich sowieso nicht erfahren was drin steht.“ Shane sah den Mann an. Verbittert ging ihm durch den Kopf, dass er jetzt noch Fremdsprachen und alte Schriften lesen lernen muss. Zu all den Dingen die er sich sonst noch beibringen sollte.



„In den ‚falschen Händen‘,“ führte Shane weiter aus, „ist ALLES gefährlich.“ Das was er suchte, war in dem Sinne nicht gefährlich. Es suchte es für sich. Aber natürlich, wenn er es wollte, könnte er damit jemand anderem auch einen Strich durch die Rechnung... oder sogar durchs Leben machen. Shanes anfängliche Schüchternheit war verflogen. Wie von Geisterhand. „Ich hab vielleicht falsch gefragt.“ meinte er dann. „W e r ist Ihrer Meinung nach denn gefährlich? Und wer sagt ihnen, dass ich die ‚falschen Hände‘ hab oder nicht?“ Unbewusst zog er den Brief wieder näher zu sich. Scheinbar musste er dem Mann wohl etwas beweisen bevor er ihn diesen Text entschlüsseln lies. War das der Preis?

"W e r ist Ihrer Meinung nach gefährlich?" Willbur unterdrückte ein Schmunzeln, den er wollte verhindern das Shane dachte er würde ihn nicht ernst nehmen. Junge Menschen, Jungen auf dem Weg zur Mannwerdung insbesondere, waren empfindlich gegenüber wie ein Kind behandelt zu werden, auch wenn sie dem Kindsein näher standen als dem des Erwachsenen.

Aber es gehörte eben auch zum Erwachsen werden dazu das man Hürden zu nehmen hatte. Man konnte nicht einfach ein Hindernis jedes mal mit einem Wutanfall, einem emotionalen Ausbruch beiseite schieben und erwarten das man am Ende ein zufriedenstellendes Ergebnis vorzuweisen hatte. Geduld war eine Eigenschaft die erst entwickelt werden musste, Beharrlichkeit eine die sich immer auszahlte und das reflektieren der eigenen Persönlichkeit eine wahre Tugend die man heut zu tage nur noch selten oder in abgeschotteten Privatschulen vermittelte. Ungeführt und ungezügelt wurde aus strebsamen Kindern oft enttäuschte, zornige Jugendliche und später dann zynische, gefühlskalte Erwachsene. Er hielt nichts von Anti-Authoritärer Erziehung, ebenso wenig wie er etwas für körperliche Züchtigung übrig hatte. Den sowohl in der ersten, wie auch der zweiten Methode war der eigentliche Fehler nicht beim zu Erziehenden sondern beim Erzieher, der anstelle von Führung Chaos förderte oder eben Gewalt anstelle von Einfühlungsvermögen.

Shane schien Probleme mit der Kontrolle seiner Gefühle zu haben und seine "Fehler" entweder durch hemmende Selbstzweifel oder übertriebenem Trotz zu überkompensieren. Trotzdem, Willbur spürte unter der Oberfläche einen strebsamen, jungen Mann der seinen Platz in der Welt suchte und wohl auch finden würde .
Behutsam beugte er sich nach vorne, legte die Tasse auf den Tisch ab und ließ einige lange Augenblicke vergehen ehe er den Kopf hob und Shane freundlich ansah.

"Gestatte mir, deine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten" sagte er ruhig "Würdest du einem Kind eine "echte" Waffe geben? Einem Betrunkenen deinen Autoschlüssel? Würdest du von einem Hund erwarten das er das Feuer im Kamin macht? - Natürlich nicht!" Er hob eine Hand abwehrend als er sah wie Shane die Lippen zusammenpresste. "Natürlich nicht, deine Erfahrung und dein Urteilsvermögen würden dir bei jeder dieser Entscheidungen deine Handlungen bestimmen."

Langsam ließ er sich wieder zurück sinken und legte seine Hände ruhend in seinen Schoß. "Ich glaube das Karate bei euch ...Kid´s... noch in Mode ist, oder ?" fragte er und wartete gar nicht ab bis Shane ihn drauf hinweisen konnte, das man heute eher Kickboxen oder andere Sportarten bevorzugte. "..Ein Meister im Karate muss seinen Schwarzen Gürtel auch erst durch langsames entwickeln seiner Fähigkeiten erarbeiten ... Er hat die Möglichkeit durch seine Kampfkunst einen Menschen schwer zu verletzen, aber er erlangt durch das langsame erlernen dieser Fähigkeit auch - im großen und ganzen jedenfalls - die emotionale und geistige Reife um mit dieser Fähigkeit auch verantwortungsbewusst um zu gehen." Er seufzte leise und schüttelte leicht den Kopf. "Jemand der gewisse Fähigkeiten oder Wissen im Katalog kauft ist hingegen wie ein Kind das die Schusswaffe seines Vaters im Schrank gefunden hat. Das ist die große Gefahr von Wissen das man sich nicht erarbeitet hat. Ich hoffe du verstehst was ich damit sagen will." sagte er und sah zu seiner Enkelin die gerade wieder in den Raum zurückkehrte.

Ria wusste hingegen das ihr Großvater oft zu fordernd sein konnte und hatte mehr als einmal gegen die Enttäuschung ankämpfen müssen seine kryptischen Worte erst enträtseln zu müssen um zu erkennen das die Antwort eigentlich ganz einfach war.

"Was hoffst du den, was drin steht?" fragte sie daher Shane.

Shane hörte zu, war sich aber nicht sicher ob er begriff. Er wollte gerade etwas sagen, als Ria ihm zuvor kam. Er blickte zu ihr, die durch die Anwesenheit ihres Großvaters plötzlich eine ganz andere Ausstrahlung auf ihn wirkte. Als würde der Schatten dieses Mannes auf sie Fallen und einen Teil ihres ichs bedecken. Den Teil den Shane zuvor noch als unheimlich empfunden hatte. Nun wirkte sie.... näher. Vielleicht weil ihre verworrenen Worte leichter zu verstehen waren als die des älteren Herrn. Shane hätte nicht gedacht, dass er DAS in dieser Stunde noch denken würde. "Ich will etwas über Vampire erfahren. Etwas bestimmtes." er weigerte sich, näher darauf einzugehen. Er sah zurück zu Willbur. "Ich möchte einfach nur wissen was hier steht. Wenn es irgendwie eine Anleitung zu irgendwas ist, dann Entscheiden Sie eben ob Sie sie mir übersetzen. Aber ich muss wenigstens wissen worum es geht..." Die Sache mit der Anleitung schien Naheliegend, denn der Verfasser des Briefs schien den Textzeilen eine Liste beigefügt zu haben. Wenn es Zufällig das war, was er hoffte, dann konnte er nochmal versuchen zu diskutieren. Viel wichtiger war erst einmal die Existenz der Sache die er suchte zu beweisen, weswegen es Shane heute, hier und jetzt auch so dringlich erschien dem nachzugehen. Denn die winzige Chance bestand.

Willbur nickte, griff aber noch immer nicht nach dem Zettel sondern sah seine Enkelin wieder an. "Dann sei bitte so gut und bring mir doch das Buch aus der Bibliothek von Albertus Magnus." Ria schmunzelte - wusste sie doch das, das lediglich ein Vorwand war um sie aus dem Zimmer zu bekommen.
Sie wartete einige Augenblicke um klar zu machen, das sie den Zug des alten Mannes durchschaut hatte, folgte aber dann doch gehorsam und verließ das Wohnzimmer damit die "Männer" unter sich blieben.

Willbur wartete bis das Mädchen die beiden verlassen hatte ehe er leise seufzend nun endlich die Hand ausstreckte und Shane den Brief abnahm. "Und du sei bitte so gut und erzähle mir, wie dieses Blatt in deinen Besitz gekommen ist." Seine Stimme war täuschend müde aber seine Finger strichen behutsam über das Leinenpapier und wog den gefalteten Brief, ehe er -mit seinen Händen- den Brief aufklappte während Shane ihm knapp das heruntergefallene Buch und seinen überraschenden Inhalt beschrieb.
Er ließ sich Zeit - weit mehr Zeit als Ria zuvor und drehte, wendete das Blatt vorsichtig hin und her, betrachtete es aus verschiedenen Blickwinkeln und hob es gegen das Licht. Erst nach geschlagenen 10 oder 12 Minuten hob er wieder zu sprechen an.

"Nun, zumindest hoffe ich das meine Enkelin dir einiges über die Beschaffenheit dieses Stücks hier bereits verraten hat ... Das Papier selbst wurde in Spanien hergestellt. Beschrieben aber wurde es den Buchstaben zufolge in Ostpolen. Intressant ist noch ..." Willbur hielt den Brief unter die Nase und schnupperte an ihm " .. das der Schreiber ein Pulver über die noch halbfeuchte Tinte gestreut hat. Zermalener Eisenhut möchte ich meinen ... Für Menschen in größeren Dosen tödlich aber auch in dieser geringen Verwendungsart zumindest Unwohlseinfördernd. Natürlich ist die Wirkung längst verflogen, du solltest aber trotzdem nicht an dem Papier knabbern .." sagte er und schmunzelte dabei vielsagend zu Shane hinüber.

"Über seinen Inhalt kann ich nur soviel sagen, das es sich um den Teil eines Manuskripts handelte..."er holte tief Atem und rollte leicht mit den Schultern unter seiner Jacke "... werde es dir einfach mal vorlesen, natürlich übersetzt den ich fürchte mein junger, neugieriger Freund das dir die Ausdrucksweise recht archaisch vorkommen dürfte, wenn du ihn in seinem Urtext hörst. Also pass auf ..."

Heute ist der 23. April 1464 anno Domini.

Mir ist der Erfolg vergönnt. Nach Jahren schlafloser Nächte und dem Kopieren und Studieren endloser Folianten habe ich es endlich geschafft. Meine Formel funktioniert und mit ihr endet der Fluch der Necrophyten ein für allemal.

Ich spreche nicht von der Auslöschung wie Bruder Malachias von Brunwald, ich spreche von der Umkehrung die den gepeinigten Leib von der Sünde des Antichristen befreit und ihn als gereinigte Seele wieder dem Leben und der göttlichen Gnade des Tages überantwortet. Nicht alle sind Diener des Teufels und wenige haben die Kraft ihre Krankheit - den dieses ist sie zweifellos - durch ihren Willen zu unterdrücken, doch meine Rezeptur ermöglicht es die Krankheit in wenigen Wochen um zu kehren.

Zwar gehen reinigende Schmerzen mit der Prozedur einher, doch lassen sich diese mit Baldrian und Kreuzdorn und Honig erträglicher machen. Die Schmerzen steigern sich natürlich nach dem Grad der voran geschrittenen Behandlung und so müssen zwischen den letzten beiden Schritten mehrere Tage vergehen, da ansonsten der Erkrankte zu Tode gemartert wird von schrecklichen Schmerzen. Aber es funktioniert.

Man beginnt mit Eisenhut, den man fein zermalen mit Wasser zu einer dünnflüssigen Paste vermengt, fügt man Kerne der Plasmosis Olea hinzu, Blätter des Salbei, den geschabten Stängel eines Löwenmäulchens oder der Kamille hinzu und kocht alles bei schwacher Hitze mit etwas rotem Wein zu einer Tinktur.

Man verabreicht sie dem Kranken während er Tagsüber schläft. Es kann sein, das der erkrankte während die Mixtur noch zu wirken beginnt erwacht und Schmerzen verspürt. Diese Prozedur wiederholt man an den beiden darauffolgenden Tagen ehe man sich selbst und dem Patienten einen Tag Ruhe vergönnt. Unbedingt muss man vermeiden, das der Betroffene seiner Art zu Speisen nachgeht, da sonst jeder Erfolg zu nichte gemacht wird.

Nach der Ruhe fügt man der Tinktur Knoblauch und roten Oleander hinzu. Es ist mit äußerster Vorsicht zu verabreichen, da der betroffene nun schon nicht mehr Tagsüber schläft sondern von Durst und Schmerz getrieben dauerhaft erwacht ist und große Kräfte entwickelt. Hierbei sollte großzügig ein Trank aus Kreuzdorn und Baldrian vor und nach der Behandlung verabreicht werden. Der Kreuzdorn lindert den Durst soweit, dass der Wahnsinn nicht in jedem Fall .....


Willbur brach ab und ließ das Blatt sinken, sah seufzend zu Shane hinüber.

Mit grossen Augen starrte Shane den Mann an. Verblüfft und staunend zu gleich. "Da steht wie ein Vampir zum normalen Sim werden kann?" wiederholte er fast ungläubig. Er rutschte etwas näher an den Rand des Polsters auf dem er sass. Das war er! Der Schlüssel seiner Begierde. Egal wie kompliziert es war, er musste wissen... "Was muss ich dafür tun!?"

Willbur seufzte leise: "Zugeben, der Eindruck könnte entstehen das es sich hier um eine Formel handelt um ... laienhaft ausgedrückt ... den Vampirismus zu heilen aber ..." er hob das Blatt Papier und drehte es so, das Shane auf die Zeilen blicken konnte ".. es ist unvollständig. Der Teil mit der abschließenden Behandlungsmethode fehlt und dadurch wird es für dich fürchte ich .. recht nutzlos sein." Er reichte das Stück Papier an Shane zurück und seine alten Augen ruhten lange auf den jungen der erst einmal blinzen musste um den Schock zu verdauen.

"Vielleicht ..." begann er, brach ab und überlegte einige lange Momente ehe er wieder Luft holte "... vielleicht kann ich dir jedoch weiterhelfen" Seine Stimme klang alt und schwer als er das sagte.

Hoffnung keimte sofort wieder auf. Egal was! "Können Sie?" er sah den Mann mit grossen Augen an. "Wie?"

"Nun" begann Willbur und rieb die nun leeren Hände über seine Korthose zu den Knien hin auf und ab, fast so als würde die Bewegung ihm geistigen Ansporn liefern "..zum einen durch gute alte Detektion, mein lieber Junge. Wir wissen zwar nicht den Namen des Verfassers aber wir wissen wann er es verfasst hat und auch durch das Schriftbild und die verwendeten Materialien wo er es geschrieben hat .. und er erwähnt einen Mitbruder der sich für seine strengeren Behandlungsmethoden ausgezeichnet hat .... Malachias ist ein alter Deutscher Name, das heißt wir finden den Ort im alten heilligen römischen Reich deutscher Nation, vielleicht in den ehemaligen Reichsgauen von Böhmen und Großmähren"

Er hielt inne, sah Shane an und erklärte Milde "Das liegt auf den Gebieten der heutigen Slowakei und Tschechiens. Doch zuallererst ..." er lächelte plötzlich ein wenig schalkhaft "... wann war deine letzte Beichte ?"

Shane hatte nie erwartet dass es einfach werden würde. Doch alles hörte sich so unsagbar kompliziert in seinen spitzen Ohren an. Sein Blick huschte kurz zu Ria. Beichte? Und er dachte der Mann sei überklug. Andererseits wurde er das Gefühl nicht los, dass man sich hier einen Spass mit ihm erlaubte. Er mochte sich irren, aber wohl war ihm hierbei nicht. Leider war das hier seine einzige Chance. "Bei wem sollte ich beichten? Ich bin nicht mal sicher ob ich einen Schritt in eine Kirche überleben würde..." sagt Shane bitter. Ja er übertrieb. Er hatte diverse Gerüchte gehört von Vampiren und Kirchen. Das schädliche Kreuz, Weihwasser, Tod durch Gottes strafenden Blick. Keine Ahnung was wahr war und was nicht. Shane hatte noch nie den drang das herauszufinden. Warum fragte der Mann überhaupt? Weil er ein Geistlicher war? Sollte das etwa die Bedingung werden? Das seltsame Lächeln machte es nicht besser. Es war reinfach unmöglich zu sehen was dieser Herr dachte. Für Shane, sowieso.

"Nun, dein erster Weg wird zu einem Geistlichen sein müssen um ein Empfehlungsschreiben zu bekommen um die Chronik des Klosters einsehen zu dürfen. Am besten Victoria nimmt dich zu Bruder Ewans McMurdoc in der St. Helen Kirche mit ... " Damit richtete Willbur seinen Blick auf die gerade zurückkehrende Enkelin und lächelte vage. " er ist ein Freund und weiß über unsere spezielle Situation bescheid." sagte Willbur und sah zwischen den beiden hin und her. "Ich werde mir in der Zeit über die Rezeptur Gedanken machen und vielleicht finde ich ja in meinen alten Alchemiewerken einen Hinweis über unseren Mysteriösen Medicus .. Natürlich nur, wenn du Einverstanden bist." Setzte er hinzu und es schien als würde er sowohl Shane als auch Ria damit meinen. Die Teenagerin zuckte nur mit den schmalen Schultern ehe sie mit einem einfachen auf und ab ihres Kinn´s ihr Einverständnis gab.



Das heisst ja nicht, dass er gleich beichten muss, oder? Shane nickt. "Vielen vielen Dank." sagt er mit kindlicher Begeisterung. So einen großen Schritt war er seinem Ziel noch nie näher gekommen. Nach zwei Jahren. Er blickte zu Ria und freute sich über ihre Zustimmung. Dann wird er die Tage wohl in die Kirche gehen müssen...


(In Zusammenarbeit mit LeahCross)

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