Newcrest Nr. 13 - Waisenhaus Heimathafen

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09.08.2024 23:16 (zuletzt bearbeitet: 19.08.2024 19:14)
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Charaktere: Ronja, Dennah, Anna-Maria, Boom, David
Geschichtsstrang: Der Ton macht die Musik



Es ist so schwierig. Ronja sitzt auf ihrem Bett, in einer Hand ein Fläschchen Desinfektionsmittel, in der anderen ein Tuch mit dem sie energisch jede erreichbare Fläche des Rollstuhles desinfiziert. Am schlimmsten ist es beim essen. Die Kleinen wollen reden und fassen schneller an die Armlehnen und Speichen, wie sie 'piep' sagen kann. Die Peripherie des Hilfsmittels ist nicht so wichtig, aber Lehne und Seitenstützen müssen absolut clean sein. Heute hat alles geklappt. Sie war schnell, die Abwehr hat funktioniert. Keine Verunreinigung in ihrem Inneren.
Erleichtert fährt sie ein letztes Mal über die Armlehnen, zieht die Handschuhe ab, schraubt sorgfältig das Behältnis zu, als enthielte es eine kostbare Flüssigkeit, von der kein Tröpfchen verloren gehen darf und verstaut es mitsamt Tuch in einer Schublade am Bett. Der stechende Geruch des Desinfektionsmittels hängt schwer im Raum, aber für Ronja ist es wie berauschendes Parfüm. Mit geblähten Nasenflügeln saugt sie gierig das Aroma ein, wieder und wieder. Sie kann förmlich sehen, wie es in ihre Atemwege dringt und auch dort für Ordnung sorgt. Beruhigend.
Mit gesenktem Kopf ruht ihr Blick für einen Moment auf ihren von der Bettkante herab baumelnden Beinen, dann beisst sie die Zähne zusammen und stemmt sich mit den Armen in die Sitzfläche des Rollstuhls. Die Handschuhe wandern hinter ihren Rücken, den sie mit einem tiefen Aufseufzen durchstreckt, ehe sie den Stuhl wendet.



Mit wenigen, geschickten Bewegungen steuert sie das Bücherregal an und entnimmt ihm einen kleinen Beutel, in dem sich ein runder Gegenstand abzeichnet. Dennah ist nicht da, also eine gute Gelegenheit den Stress vom Speisesaal abzubauen.
Ronja zieht am Schnellverschluss und befördert eine kleine Tongue Drum zutage. Sie hat das Instrument in der Kliniktherapie kennen und lieben gelernt. Luisa, ihre Zimmernachbarin hat ihr die Anfängerversion zum Abschied geschenkt. Hoffentlich sehen sie sich irgendwann wieder.
Ronja streicht liebevoll über den glatten, kühlen Klangkörper und beginnt zaghaft mit einem der zierlichen Holzschlegel ein paar Töne anzuschlagen. Die Melodien sind improvisiert und einfach, aber der zarte und doch intensive Klang, lassen sie die Augen schließen und mit den Tönen tanzen. Ein leises Lächeln erscheint auf ihren Zügen, während sie den Klangteppich dichter webt.



Die Tür zum Bad öffnet sich unbemerkt und Dennah tritt herein. Sowohl den nackten Körper, als auch die Mähne in Handtücher gewickelt, betrachtet sie die neue Zimmergenossin mit fragendem Gesichtsausdruck. Einen Augenblick verharrend lauscht sie der Melodie. Das ist gar nicht übel. Anerkennend nickend zieht sie die Mundwinkel herunter, ehe sie sich in Bewegung setzt. "Was spielst da?" Unelegant wirft sie eine kleine Kulturtasche auf den Schreibtisch, reißt sich das Handtuch vom Körper, das augenblicklich in einer Ecke am Boden landet. Völlig ungeniert geht sie zum Kleiderschrank, um dessen Inhalt zu studieren. Es stört sie nicht im Geringsten, dass Ronja sie in ihrer ganzen Pracht sehen kann, während sie unentschlossen mit einem Bein wippt.



Mit einem Ruck öffnet Ronja die Augen. Die Sticks schweben einen Augenblick in der Luft, ehe ihre Hände langsam in den Schoß sinken. "Nichts Bestimmtes, einfach so.", antwortet sie, während ihr Blick dem Handtuch folgt. "Beruhigt mich." Sie hebt den Kopf wieder. "Im Gegensatz zu deiner Rückansicht grade. Nicht jeder will am hellichten Tag, fremde, nackte Ärsche sehen." sagt sie in neutralem Tonfall und beginnt die Trommel zurück in ihre Schutzhülle zu schieben.
"Mein Arsch sieht klasse aus." Eine Hand an der Hüfte, neigt Dennah Ronja die Pobacke zu. "Wenn du ihn nicht sehen willst, guck weg. Das ist mein Zimmer. Der einzige Ort in diesem Käfig, an dem ich ich sein kann." Mit ungewohnt ernster Mine wendet sie sich dem Schrank zu, zieht Hose und ein in der Mitte abgetrenntes Shirt heraus, an dessen Ende Ketten durch den Stoff gezogen sind, und hebt es vor sich in die Luft. "Was meinst du? Das hier?"



"Das ist unser! Zimmer." korrigiert Ronja und legt das verpackte Instrument auf ihrem Schreibtisch ab. "Da hab ich wohl auch Mitspracherecht." Vorgeblich desinteressiert mustert sie die präsentierten Kleidungsstücke. "Kommt drauf an was du vor hast." Sie legt die Hände an die Reifen und wendet schwungvoll den Rollstuhl in Richtung ihrer Zimmergenossin. "Bist leicht abzuschleppen mit dem ganzen Kettengebammel."
"Perfekt." Zufrieden zieht sie das Oberteil über, steigt in eine frische Unterhose und anschließend in die umgenähte Jeans. "Hast du Geschwister?" Mit frechem Hüftschwung nähert sie sich Ronjas Schreibtisch, den Blick über die Gegenstände gleitend.
Stumm schüttelt Ronja den Kopf, wachsam jede Bewegung von Dennah verfolgend. "Du?"
Mit einem 'M-mh' wiegt auch sie ihren Kopf hin und her. Neugierig nimmt sie das Instrument zur Hand, zieht es aus der Verpackung und betrachtet es von allen Seiten. "Wie lange machst das schon?"



Ronja stockt der Atem. Bleib ruhig. Du kannst das abwischen. Bleib ruhig. "Pack das wieder ein.", sagt sie mühsam beherrscht, obwohl ihr Herz Fahrt auf nimmt. "Ich mag das nicht, wenn man ohne zu fragen mein Zeug anfassst."
Ein genervter Blick streift die Rollstuhlfahrerin. Die hätte mal bei ihr zu Hause aufwachsen sollen. Dennah erinnert sich nicht daran, dass auch nur ein Besitztum von ihr respektiert wurde. "Chill mal, Rosa. Ich pass schon auf." Einen der Sticks sanft auf den Klangkörper tippend entweicht ihr ein Lächeln. "Das ist voll cool. Wo kriegt man sowas?"
Die aufsteigende Panik unterdrückend gibt Ronja dem Rollstuhl einen Ruck nach vorne und nimmt Dennah unwirsch Trommel und Stick aus der Hand. Mit zusammengepressten Kiefern versucht sie ihre zitternden Hände in den Griff zu bekommen, während sie hektisch alles wieder in den Beutel zurück stopft. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt und der Schraubstock um ihre Brust zieht sich immer enger zusammen. "Ja, es ist cool und ein Geschenk von einer Freundin.", presst sie heraus. Mit Schwung verschwindet die Kostbarkeit in der Schreibtischschublade, die sich nicht ohne weiteres wieder zu schieben lässt. Alt und verzogen widersetzt sie sich Ronjas Bemühungen, was deren Anspannung noch verstärkt. Die unterdrückten Emotionen brechen sich in rüttelnden Bewegungen Bahn, ehe sich das Schubfach mit einem Knall schließt. Ronja nestelt flach atmend ein Einwegdesinfektionstuch aus den Taschen ihres Pullovers, reisst sie Verpackung auf und wischt sich unverändert hektisch damit Finger und Handflächen ab. Oh Gott, du hast dich null unter Kontrolle...sie wird denken du bist total durchgeknallt...was ist mit allem was du in der Klinik gelernt hast?



Ronjas Gedanken überschlagen sich, während der Druck um die Brust langsam nachlässt. Schließlich atmet sie erleichtert auf, knüllt das Tüchlein in der Faust zusammen und schleudert es in den Papierkorb. Kurz verharrt sie mit zusammengepressten Kiefern und gesenktem Kopf, dann sieht sie Dennah an. "Sorry...manchmal geht's mit mir durch. War nicht persönlich gemeint."
Mit offenem Mund beobachtet Dennah das panische Treiben. Sie hat schon viele merkwürdige Verhaltensweisen gesehen, aber das ...?! "Du hast das Klimbimding nicht abgeputzt. Da hängen jetzt Bazillen von mir dran. Und die kriechen in jede kleine Ritze, wo du sie nie wieder raus gewischt kriegst." Kopfschüttelnd wendet sie sich ab, irgendetwas von einem Irrenhaus murmelnd, als es verhalten an der Zimmertür klopft.
Dafür brauch ich mehr Zeit. "Weiß ich!" raunzt Ronja zurück, der Dennahs Tonfall nicht gefälllt. Wahrscheinlich liegt es an der immer noch neuen und fremden Umgebung, dass die Situation gerade wieder eskaliert ist, beinahe wie in den Anfangstagen der Klinik. Sie hätte in eine Höhle in den Bergen umziehen sollen, statt in ein dichtbevölkertes Waisenhaus mit Zweibettzimmer. Weiter bemüht, die innere Balance wieder zu finden, steigt gleichzeitig Scham und Wut in ihr auf. Wird das jemals wieder anders? Oder wird sie immer so ein Freak bleiben, egal welche Strategien sie entwickelt? Sie setzt zu einer Erklärung an, aber ein Klopfen an der Tür lässt sie erschrocken zusammen zucken. Unerwarteter Besuch bedeutet och einen Stressfaktor mehr. Angespannt beobachtet sie, wie Dennah sich der Tür nähert.



Genervt reißt die Dreadhead die Tür auf. Anna-Marias freundliche Gesicht lächelt sie an. Mit ineinander gelegten Händen erzählt sie von zwei Besuchern, die unten warten.
"Hab keinen Bock, schick sie hoch." Ein lauter Seufzer macht deutlich, wie schwer Dennah es in dieser Gesellschaft hat, als sie sich wieder ins Zimmer dreht und die Handtücher zusammen sammelt. "Hier, kannste gleich mitnehmen. Nicht dass Sonja noch einen Anfall kriegt." Schwungvoll wirft sie das Knäuel der Erzieherin in die Arme, die missbilligend den Fang begutachtet, aber nichts sagt, sondern leise die Tür schließt.
"Kannst du dir eigentlich irgendeinen Namen merken?" fragt Ronja die Augen rollend, muss aber unwillkürlich ein wenig schmunzeln. Dann wird sie ernst. "Wer kommt denn?"
Gekonnt überhört Dennah den Kommentar. Natürlich könnte sie sich die Mühe machen, sich Namen zu merken. Aber wozu soll das gut sein, wenn die Kontakte ohnehin wieder im Nichts verschwinden? "Keine Ahnung, Leute eben. Die Namen kann ich mir eh nicht merken.", feixt sie selbstsicher.



Leute eben. Dennahs leicht dahin geworfene Worte verstärken Ronjas Nervosität. Ein paar Sekunden wägt sie ab, dann greift sie hinter sich und zieht die Handschuhe heraus. Nach dem Fiasko mit der Tongue drum eben, ist es wohl besser so. Um die mentalen Abwehrstrategien konsequent durch zu ziehen, fehlt ihr heute die Kraft. Sobald sich der weiche Baumwollstoff um ihre Haut schmiegt, löst sich ein Teil der Spannung. Ronja rollt zu ihrem Regal und nimmt ein Buch heraus. „Ich bring das in die Bibliothek zurück.“, sagt sie. Wobei Bibliothek ziemlich übertrieben ist. Es gibt ein großes Bücherregal, aus dem man sich Lesestoff holen kann. Sie platziert das Buch auf ihrem Schoß und bewegt sich zur Zimmertür. Die Klinke schon in der Hand, erstarrt sie in der Bewegung. Draussen nähern sich laute Stimmen.
Die Stirn gerunzelt, erhellt sich Dennahs Blick. Diese Stimmen. Oh! Mein! Gott! Das ist doch .... An Ronja vorbeidrängelnd, prescht sie in den Flur. "Haaaaahhhh!" Ein schriller Aufschrei entfährt ihr. Eine Sekunde wirkt sie wie erstarrt. Dann rennt sie los.



Die jungen Besucher werden von Anna-Maria ins obere Stockwerk begleitet. "Da vorn, die dritte Tür rechts."
Während David sich aufgeschlossen umsieht, wirkt Boom Boom eher genervt von der strukturierten Umgebung und den verwundert schauenden Sims, denen sie begegnen. Die besagte Tür öffnet sich und einen Moment später schaut Dennah ihnen entgegen.
"Scheiß die Wand an!", ruft Boom Boom durch den Flur. "Bitch!"
Als Dennah losstürmt, bringt sie sich breitbeinig in Position, die Arme ihrer Freundin offen entgegen gestreckt. "Komm her, du Luder!"
Mit fliegenden Haaren landet Dennah in ihrem Arm. Freudiges Gewimmer und unverständliche Worte dringen aus dem Simsknäuel hervor. Anna-Maria, etwas vom Umgangston der Mädchen irritiert, lächelt gerührt und auch David steht breit grinsend daneben. Kurz gleitet sein Blick den Gang entlang, an dessen Ende ein Mädchen im Rollstuhl wenig begeistert herüber linst. Freundlich hebt er die Hand und winkt ihr zu, bevor er die Freundinnen auseinander zerrt. "Jetzt will ich auch mal." Lachend nimmt er Dennah in den Arm, wobei sie den Halt zum Boden verliert und fröhlich jauchzt.
"Ist die ne Freundin von dir?" Mit abwertendem Tonfall betrachtet Boom Boom das blonde Mädchen. "Was los, Sitzfleisch? Fußgänger kennste doch oder was?!" Augenblicklich versetzt David ihr einen kräftigen Tritt in die Kniekehle. "Benimm dich! Sonst karr ich dich gleich zurück."



Näher rollend tritt bei Davids Aktion ein kurzer, amüsierter Funke in Ronjas Augen, erlischt aber sofort wieder und macht einer unbestimmten Härte Platz. Sie presst die Kiefer aufeinander und sieht erst die Fremde, dann David vorgeblich ungerührt an. "Lass sie ruhig. Solche wie sie brauchen das, sonst fühlen sie sich sooo klein." Zeigefinger und Daumen formen eine entsprechende Geste, dann weist sie mit der behandschuhten Hand den Gang hinunter. "Ich muss mal da durch, hab ein Buch abzugeben."
"Ich geb dir gleich klein, du Krüppel!" Boom Booms Augen funkeln wütend, als sie hastig in ihre Tasche greift. Wie kann dieses Miststück es wagen, sie so anzumachen?! Die braucht dringend eine Lektion.
"Du gibst hier gar nichts." Beherzt schlingt David seine Arme um den schmalen Körper seiner Begleitung, hebt sie einige Zentimeter an, so dass ihre Füße wütend in der Luft hin und her schlagen. "Hey, Dan, sag mal, gehen wir raus? Ich glaub, Boom muss frische Luft schnappen. Sie ist in letzter Zeit so unglaublich zickig."
Dennah wirft ihrer Zimmergenossin einen Blick zu, der beinahe entschuldigend wirkt, nickt dann in Richtung David und geht voraus, während Boom Boom in seinem Griff keift und zetert. "Dietsch, verdammt! Lass mich los, du Arschficker!"
Dennah folgend, ruft David zurück in den Flur: "Es tut ihr leid. Sie ist als Baby auf den Kopf gefallen."



Die Faust in Ronjas Schoß bleibt geballt, als sie dem großen Blonden mit seinem zeternden Bündel noch einen Moment nachsieht. Irgendwann wird sie keine Beschützer mehr brauchen. Irgendwann zahl ich‘s euch allen heim


(in Zusammenarbeit mit @simscat2 )


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07.11.2024 19:50 (zuletzt bearbeitet: 28.11.2024 18:58)
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Schicksalslenker

<<< Dennah kommt von Newcrest <<<
Start: Finn

Charaktere: Tomasz, Ronja, Dennah, Reese, Finn
Geschichtsstrang: Geschäfte und Geheimnisse


Tomasz' Finger graben sich in die raue Rinde des alten Baumes hinter dem Waisenhaus. Seine Hände zittern, die Haut brennt von den Unebenheiten des Astes. Er versucht, sich hochzuziehen, doch jeder Muskel in seinen Armen schreit nach Ruhe. Der Ast über ihm bleibt unerreichbar, aber Tomasz kann nicht aufgeben. Nicht jetzt. Er hat zu viel im Kopf, um den Schmerz wirklich zu spüren.
Wieder denkt er an Dennah. An diesen einen Moment, als sie gesagt hat, dass sie „auf harte Jungs“ steht. Tomasz hatte es zuerst nicht kapiert. Er dachte, sie meint Stärke – Muskeln, Entschlossenheit. Aber jetzt dämmert es ihm: Sie meinte nicht nur Muskeln. Sie sprach über den Moment, als sein Körper versagt hat. Und sie hat das einfach so vor Ronja gesagt. Diese Scham sitzt tief und nagt an ihm. Ein Flüstern, das er nicht abschalten kann.
Sie hatte ihm gesagt, sie würden gemeinsam nach San Sequoia gehen. Tomasz war sich sicher, dass das der Anfang von etwas Größerem sein würde. Aber wenige Stunden später ließ Dennah ihn einfach stehen. Kein Wort, kein Blick. Als wäre die ganze Unterhaltung nur in seinem Kopf passiert.
Er versteht es einfach nicht. Ihre Blicke hatten so viel versprochen, aber dann, ganz plötzlich, diese Kälte. Es war, als hätte sie ihn halbwegs auf ihrem Weg mitgenommen und dann entschieden, dass er es nicht wert war, weiterzugehen. Und trotzdem, er kann nicht aufhören, an sie zu denken. Er kann sich nicht von dem Wunsch lösen, dass sie ihn mögen soll, dass sie ihn sehen soll– wirklich sehen, und nicht nur als „Timo“ oder „Torben“ oder irgendeinen Namen, den sie ihm beiläufig immer gibt. Er will, dass sie Tomasz sieht.
Deshalb trainiert er. Seit Tagen.
Irgendwann wird sie seinen Namen kennen.



„Na, schau mal, wer hier wieder den großen starken Blödmann spielt!“ Reese’ Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Natürlich Reese. Der Typ, der immer einen Weg findet, Tomasz’ Unsicherheiten zu treffen. Reese grinst breit, seine Augen funkeln. „Versuchst du immer noch, diesen Ast zu erklimmen? Mann, du gibst echt nicht auf, was?“
Tomasz spannt sich an, seine Schultern verkrampfen sich. Reese w
eiß genau, wo er Tomasz packen muss – bei seinem Stottern.
„Ssssag mal,“ fängt Reese langsam an und Tomasz' Herz rutscht in die Tiefe. „Kkkkriegst du überhaupt ein Wort hhhhera...hera... heraus?“ Reese grinst und imitiert Tomasz’ Stottern. „Oder bleibt’s dir im Hhhals sssstecken, weil du so schwach bist?“
Hitze steigt Tomasz ins Gesicht. Er hasst diesen Moment. Er will etwas sagen, irgendwas... nichts. In seinem Kopf hört er Rick. „Komm schon, Tomasz! Lass dir das nicht gefallen!“ Aber Tomasz schüttelt nur den Kopf. Die Scham sitzt zu tief. Kein Wort kommt heraus.

„Dddas dddachte ich mmmir schon,“ sagt Reese, lacht laut und wendet sich ab. Reese zuckt mit den Schultern, bevor er zu den anderen Kindern schlendert, die das Ganze aus der Ferne beobachtet haben.
Tomasz fühlt, wie seine Knie nachgeben. Seine Hände rutschen von der Rinde ab. Er sinkt auf den Boden, seine Beine sind zu schwer.



Dann hört er Schritte. Reese kommt zurück. Sein Grinsen ist weg, sein Blick kühl und berechnend. „Hey, Tomasz,“ sagt er leise. „Sag mal... hast du noch was von dem Zeug?“ Tomasz schaut verwirrt auf. „Du weißt schon,“ Reese kommt näher, „Ich hab gehört, du hast ’nen Dealer in der Stadt. Den Typen, der immer bei der Tankstelle rumhängt. Du kannst doch was abdrücken, oder?“
Tomasz spürt, wie sich seine Kehle zuschnürt. Gras. Klar weiß Reese, dass er ab und zu was hat. Der Gedanke, ihm etwas zu geben, lässt Tomasz’ Magen sich verkrampfen. Der Einzigen, der er jemals etwas gibt, ist Dennah. Wenn er ihr was gibt – eine Zigarette oder etwas Gras – lächelt sie ihn so lieb an, dass Tomasz für einen Moment vergisst, wie sie ihn manchmal behandelt. Dieses Lächeln macht alles wieder gut. Er klammert sich daran, als wäre es das Einzige, das ihm noch Halt gibt.
"Jetzt sag schon." fordert Reese. Er klingt als würde er kein 'Nein' akzeptieren.



Abgeschirmt durch die herunter hängenden Äste des großen Nadelbaumes im Garten, sitzt Ronja mit gesenktem Kopf, tief in einen neuen Krimi versunken. Fasziniert verfolgt sie den neuesten, äußerst grausamen Plan des Serienkillers, der gerade den ermittelnden Kommissar vor die Wahl stellt, wer einen langsamen, qualvollen Tod erleiden soll. Seine Schwester oder seine Frau. Er kann nur eine retten. Seltsame, ächzende Geräusche mischen sich in den Nervenkitzel. Unwillig die Stirn runzelnd hebt sie den Kopf und bemerkt, dass sich auf der anderen Seite des Baumes etwas im Geäst bewegt. Dem unterdrückten Stöhnen folgt frustriertes Schnauben. Neugierig geworden knickt sie die Ecke der Seite um, klappt das Buch zu und klemmt es zwischen Oberschenkel und Seitenlehne fest. Beide Hände am Stahl der Räder, bugsiert die den Rollstuhl voran, bis sie Tomasz erkennen kann, der irgendwelche Übungen an einem Ast macht. Gerade will sie näher kommen, als aus der anderen Richtung Reese auftaucht. Ausgerechnet. Klassisches Erbsenhirn mit Riesenklappe. Der personifizierte Alptraum. Erschrocken setzt sie ihren Rolli etwas zurück, so dass die Deckung weitgehend erhalten bleibt und linst vorsichtig zu den beiden Jungen. Kaum fängt der Rowdy an zu sprechen, kocht Hitze in Ronjas Brust hoch. Eine Mischung aus Angst, Wut und Scham, die sie lähmt und gleichzeitig aufpeitscht. „Kkkkriegst du überhaupt ein Wort hhhhera...hera... heraus?“ Was für ein Arsch Ronjas Atemzüge werden kürzer und schnell. Sie beißt die Zähne aufeinander um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Dddas dddachte ich mmmir schon", hört sie Reese weiter spotten. Halt einfach deine Fresse!! Seit sie denken kann, spielen sich solche Szenen auf dem Pausenhof der Schule, irgendwo im Park oder im Freibad ab.

Was hast n da am Hals? - Das is n Knutschfleck..ach nee, so hässlich wie du bist knutscht dich doch nie im Leben einer. - Aber bumsen geht, wenn du die Augen zu machst Hahaha - Nee, das ist so n Vulkan, da spritzen die ganzen Pickel raus, die sie im Gesicht hat--uuääähh...und so weiter und so fort. Sie will Reese ins Gesicht spucken, kratzen, die Augen ausreißen! Ruckartig presst sie die geballten Fäuste auf die Ohren, bis das Rauschen ihres eigenen Blutes in ihrem Kopf die Stimmen übertönt. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, atmen, 1, 2 3, 4, 5, 6, 7, atmen, 1 .. Nach dreimaliger Wiederholung löst Ronja die Arme und lässt sie zurück in den Schoß sinken. Ihr Herzschlag beginnt sich langsam zu normalisieren. Tief durchatmen. Überrascht bemerkt sie, dass das Gespräch zwischen den Jungs jetzt durch eine andere Tonart bestimmt wird. Reese klingt fordernd und von Tomasz ist nichts zu hören. Angespannt verfolgt sie das Geschehen und schiebt sich behutsam etwas weiter vor, um besser sehen zu können. Reese steht mit dem Rücken zu ihr und Tomasz sieht aus, als wäre er die Fliege und Reese ein Frosch, der ihn jede Sekunde, mit einem einzigen Vorstoß seiner Zunge, verschlucken könnte.



Tomasz’ Atem geht flach, als Reese ihm so nahe kommt, dass er die feuchte Wärme seines Atems spüren kann. Alles in ihm schreit nach Widerstand, doch die Worte wollen nicht heraus. Er starrt vor sich in das Gras, ohne es wahrzunehmen.
Reese grinst, zieht die Augenbrauen hoch und wartet. Die Sekunden dehnen sich, und Tomasz spürt, wie die Panik in ihm wächst. Wenn er Nein sagt, was passiert dann? Der Druck wächst. Sein Herz pocht so laut in seinen Ohren, dass er kaum noch denken kann.
„Also?“ Reese beugt sich noch tiefer zu ihm herunter.
Tomasz fühlt, wie sein Körper nachgibt. „O-ok-kay,“ murmelt er leise, kaum hörbar. Für Reese reicht das. Ein triumphierendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, und er klopft Tomasz hart auf die Schulter.
„So gefällt mir das,“ sagt Reese zufrieden, und für einen Moment wirkt Tomasz' Gesicht, als hätte sich der Himmel über ihm verdunkelt. „Heute Abend, vergiss es nicht.“ Dann dreht er sich um, als wäre nichts geschehen.
Tomasz lässt sich gegen den Baumstamm sinken, die raue Rinde schneidet in seinen Rücken. Der Ast über ihm – sein Ziel, sein Symbol für alles, was er erreichen wollte – scheint jetzt so weit entfernt, dass es fast lächerlich ist, je geglaubt zu haben, er könne sich daran hochziehen.

Sachte schiebt Ronja den Rollstuhl in Tomasz' Sichtfeld. "Sie schaffen's immer wieder...nicht wahr?" Ihr Kinn ruckt Reese hinterher, der gerade im vorbei gehen einem der jüngeren Kids einen Schlag auf den Hinterkopf mit gibt. "Solche.", ergänzt sie tonlos.



An einem der Regale in der Bibliothek angelehnt beobachtet Dennah das Trauerspiel im Garten. Schlecht gelaunt graben sich ihre Brauen tief ins Gesicht. Noch immer schwirren ihr die aufreibenden Stunden im Gedächtnis herum. Und noch immer nimmt sie David sein Urteil übel. Von wegen nicht gewachsen.
Immerhin hat sie Boom Paroli geboten und Blaze das Leben gerettet. Vermutlich. 'Nicht so dramatisch, wie es aussieht', war die fachmännische Diagnose im Krankenhaus. Trotzdem schweifen ihre Gedanken ständig zu den Ereignissen ab. Seit sie von Volker abgeholt wurde, hat sie nichts von den anderen gehört - wie auch? Ohne Handy?! Das Einzige, was sie bisher daran gehindert hat, an diesem verdammten Ort durchzudrehen.
Als Reese siegessicher an ihr vorbeizieht, schenkt sie ihm einen strengen missbilligenden Blick, bleibt aber stumm. Sie erwartet nicht, dass er ihr die Wahrheit sagt, würde sie ihm nach dem Gespräch fragen. In ihrer Vorstellung gibt es allerdings nicht viele Möglichkeiten, über was die zwei sich unterhalten haben können.
Den Blick wieder auf Tomasz gerichtet, hat sich Ronja inzwischen zu ihm gesellt. Dennah stößt sich vom Regal ab und setzt sich in Bewegung. Zielstrebig hält sie auf den niedergeschlagenen
Jungen zu. Ihre betont lässige Haltung, begleitet von der ungewohnt ernsten Mimik, lassen sie entschlossen wirken. Direkt vor Tomasz kommt sie zum Stehen. Ronja ignorierend schaut sie auf ihn herunter, ohne den Kopf zu senken. "Was hat der kleine Dummbolzen gesagt?"



Tomasz nickt leicht, als Ronja spricht. Ihre Worte erreichen ihn, und es gibt etwas Beruhigendes daran, dass sie versteht, ohne dass er es aussprechen muss. Dagegen, dass alle um ihn herum es scheinbar gesehen haben, kann er ohnehin nichts mehr tun... Bevor er sich darauf konzentrieren kann, steht Dennah vor ihm.
Er hebt den Blick langsam, trifft ihren ernsten, abwartenden Ausdruck. Tomasz weiß, dass er sie nicht anlügen kann – nicht, wenn er will, dass sie ihn ernst nimmt.
„Er w-w-wollte G-gras,“ sagt Tomasz, die Augen bei jedem Stotterer angestrengt zusammengekniffen, die Stimme flach. Er hält den Blick auf Dennah gerichtet, auch wenn es ihn Überwindung kostet. „D-das ist al-l-lles.“
Er zuckt mit den Schultern, als ob er es einfach abtun könnte. Es soll so wirken, als wäre es nichts, als wäre es nur ein banales Geschäft, wie es hier und da passiert. Er versucht, diesen Gedanken zu verinnerlichen.
Nur ist es mit Reese nicht dasselbe. Reese verlangt es von ihm, nimmt es sich einfach. Und das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
Tomasz steht unter Dennahs und Ronjas Blick, sein Inneres aufgewühlt, während er die Luft anhält und auf eine Reaktion wartet. Er kann nicht mehr tun als hoffen, dass seine Antwort genügt und dass die Wahrheit ihm nicht mehr schadet, als sie ihm nützt.



Unschlüssig bewegt sich Ronjas Blick zwischen den beiden hin und her. Was geht da vor sich? Ist Dennah eine Art Beschützerin für ihn? Die Reese jetzt folgen wird und ihm in einem dunklen Winkel eine Abreibung verpasst? Bekommt sie dafür auch eine Gegenleistung von Tomasz? Ist es das? Sie erinnert sich an Dennahs lockere Reaktion, als Ronja ihre aufreizende Kleidung kommentierte. Anscheinend steht sie drauf, Signale auszusenden, die Typen schnelles Vergnügen versprechen… vielleicht ist Tomasz ja auch eins. Gewöhnt daran in irgendeiner Form ausgenutzt zu werden, wäre das vermutlich ein recht angenehmes ‚Übel‘ für ihn…
Ronja ist vertraut mit dem Opfer-Beschützer-Konzept, auch wenn es für sie selbst nicht funktioniert hat. Sie beschließt das Spiel noch etwas zu beobachten. „Heute Gras, morgen will er Kohle und übermorgen sollst du irgendwas für ihn erledigen. Dem gehen die Ideen sicher nicht aus.“ sagt sie mit einem Anflug von Verbitterung in der Stimme.

"Und darum wirst du ihm auch nichts geben."
Es bleibt kein Zweifel, dass Dennah nicht darüber zu diskutieren gedenkt. "Kann ja nicht angehen, dass jeder macht, was er will."

Rick tritt aus dem Schatten hervor, seine Präsenz sofort spürbar. Er bewegt sich ruhig, lässig und stellt sich neben Tomasz, der noch immer mit gesenktem Kopf dasteht. Rick neigt den Kopf leicht zur Seite, als er Tomasz mustert. Dann sieht er zu Dennah und Ronja auf. „Was würdest du tun?“ fragt Rick mit einem scharfen Unterton. „Oder besser gesagt, was würdet ihr tun, wenn Reese sich rächt?“
Während Rick spricht, richtet sich Tomasz unmerklich auf. Seine Schultern, die eben noch nach innen gefallen waren, straffen sich, und er hebt leicht den Kopf. Sein Blick, der vorher unsicher war, wird fest. Es ist, als würde Tomasz für einen Augenblick jemand anderes werden.
Die Frage hängt in der Luft. Während Rick spricht, sind seine Gedanken ganz bei Ronja. Sie müsste doch verstehen, dass er nicht einfach Nein sagen kann, dass Reese ihn zerstören wird, wenn er es versucht. Und Dennah ist viel stärker als er.
Kaum hat Rick seine Worte ausgesprochen, merkt Tomasz, wie die Spannung in seinen Schultern nachlässt und seine Körperhaltung wieder in das gewohnte, unsichere Muster zurückfällt.

Überrascht vom Tonwechsel ruckt Ronjas Kopf zu Tomasz, dann schlägt sie sich verächtlich auf die Beine. "Mit den Anhängseln nicht viel." Sie schaut Dennah an. "Wenn überhaupt hat man nur zu mehreren ne Chance." Als könne sie die drohende Gefahr so abwehren, verschränkt Ronja die Arme und senkt den Blick. "Aber er ist nicht allein, es gibt immer welche, die bei sowas gern mit mischen." Ihr Eckzahn bearbeitet nervös die Innenseite ihres Mundwinkels bis der metallische Geschmack von Blut, sie inne halten lässt. Wenn ich irgendwie könnte, würd ich ihn quälen, bis er winselt.

"Der ist doch nichts weiter, als ein Pickel am Arsch.", schimpft Dennah. "Ich sage dir, du gibst ihm nichts! Und wenn er Stress macht," sie verschränkt die Arme vor der Brust, "kriegt er es mit mir zu tun. Ich werde schon mit dem Dulli fertig." Bedrohlich wechselt ihr Blick zu Ronja. "Und seine Kumpels machen mir keine Angst."



Tomasz denkt noch über Ronja und Dennahs Worte nach, als einer der älteren Jungs, Finn, auf die Gruppe zukommt. Sein Blick ist ernst, und er bewegt sich leise, als hätte er etwas Wichtiges zu sagen. Mit einem schnellen Blick über die Schulter, tritt er näher an die Gruppe heran.



„Ich muss euch was erzählen,“ beginnt er mit gedämpfter Stimme, „aber das bleibt unter uns, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, fährt er fort. „Es geht ein Gerücht um... über Reese und seinen Opa. Angeblich hat sein Opa damals seine Eltern umgebracht. Irgendwas mit einem riesigen Streit, und dann... naja. Und es gibt jemanden, der behauptet, er hätte den Opa mit blutigen Händen aus dem Haus kommen sehen.“ Er macht eine kurze Pause, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. „Aber das ist nicht das Schlimmste,“ fügt er hinzu. „Reese besucht seinen Opa immer noch. Regelmäßig. Wenn das stimmt, dann... dann hat Reese entweder keine Ahnung, oder er weiß es und.... So oder so, das ist krank. Und ich sag euch eins: Wenn Reese wirklich Bescheid weiß, dann solltet ihr ihn besser nicht provozieren. Wer weiß, was in seinem Kopf abgeht.“



Tomasz spürt, wie sich eine kalte Unruhe in ihm ausbreitet. Das Gerücht ist mehr als nur ein bisschen schmutziger Klatsch – es ist eine Warnung. Finn verschwindet und sie sehen ihn bald darauf mit ein paar anderen Kindern Reden. Seine Haltung genau so heimlichtuerisch wie bei ihnen.
Tomasz ist die Lust vergangen, sich Reese in den Weg zu stellen, egal wie viel Mut Dennah ihm in diesem Fall zu machen versucht. Dann sollte er jetzt los, um sein Zeug zu besorgen, denkt er.
"I-ich... s-s-sollte g-gehn." presst er heraus und bemerkt wie Rick neben ihm bedauernd den Kopf schüttelt.

Missgestimmt von Dennahs Großspurigkeit, fängt Ronja den Blick der Zimmerkollegin auf. Warum guckt sie, als wolle sie gleich auf sie los gehen, statt auf Reese? "Wer bist du? Captain America in weiblich? Dennah gegen den Rest der Welt oder was?" Gereizt erwidert Ronja den Blick, wird aber abgelenkt durch das Auftauchen von einem anderen Jungen. Einer von Reese' Kumpels? Unwillkürlich spannt sie die Bauchmuskeln an und schluckt einen weiteren Kommentar Dennah gegenüber herunter.



Finn macht einen auf wichtig, aber je länger Ronja ihm zuhört, desto interessanter erscheint ihr die Geschichte. Ein Mord verübt von Reese' Großvater? Und sein Enkel weiß nichts davon oder eben doch und hält zu seinem Opa? In Ronjas Gehirn spult der nächste Krimi ab. Was, wenn der Großvater einen Schlaganfall hatte? Sich nicht mehr bewegen und sprechen kann...nur hören? Vielleicht weiß Reese was er getan hat und quält ihn mit seinem Wissen bei jedem Besuch...und der Alte liegt im Bett und kann nichts dagegen tun? Ehe sie dieses Szenario weiter ausspinnen kann, sagt Tomasz, dass er gehen will. Sie schickt Finn einen schwer zu deutenden letzten Blick hinterher und wendet sich um. Ronja erinnert sich an ihre Theorie, was das Verhältnis zwischen Dennah und ihm angeht und hebt minimal die Brauen. "Ich will euch nicht länger stören." sagt sie knapp. "Ich schau, dass ich in mein Zimmer komme, bevor Reese wieder irgendwo auftaucht." Sie blickt Dennah an, dann mit einem leicht süffisanten Lächeln Tomasz. "Du hast ja beschützende Begleitung."

Dennah hebt abschätzig eine Augenbraue gen Finn. "So ein Blödsinn.", raunt sie genervt. "Das ist doch nur Gelaber. Ich kenne diese Storys. Bull. Shit." Warum sonst sollte der Pimpf gerade jetzt mit der Geschichte ankommen, wo die Wehr gegen Reese ein Thema ist? "Das ist reine Einschüchterungstaktik. Du gibst ihm nichts. Verstanden?" Scharf funkelt sie Tomasz an, ehe ihr Blick der Rollstuhlfahrerin folgt. Besserwisserzicke. "Captain America ist verreckt!", ruft sie hinterher. Der hat sie's gegeben.




(in Zusammenarbeit mit @Ripzha und @RivaBabylon)


>>> Dennah geht nach Windenburg - Neue Wege Klinik (2) >>>


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28.11.2024 01:07 (zuletzt bearbeitet: 24.01.2025 01:34)
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<<< Gereon kommt von San Myshuno Nr. 7 - Haus der Geschwister Hawk (4) <<<


Charaktere: Holger, Anna-Maria, Volker, Ronny, Mareike, Ilsa, Gereon, Ronja
Geschichtsstrang: Sorgen-Kinder



"Ich verstehe euch. Aber im Moment haben wir einfach zu wenig Personal." Der Heimleiter gibt sich Mühe, die Dienste gerecht zu verteilen. Doch es fehlen noch immer zwei Vollzeitbesetzungen im Team. "Ich habe Ende des Monats eine Bewerberin zum Gespräch. Ich setze große Hoffnung in den Termin. Wenn das klappt, können wir alle ein bisschen aufatmen. Bis dahin müssen wir die Backen einfach zusammen kneifen."
"Und was, wenn aus der Bewerbung nichts wird?" Volker ist genervt von dem Job. Anfangs hatte alles so gut geschienen. Ein neues Team in einem neuen Heim mit Kollegen voller Elan. Er wollte den Kids ein gutes Vorbild sein, ihnen auf den richtigen Weg helfen. Ständig macht er Überstunden und ein Drittel der Gören tanzen ihm auf der Nase herum.
"Dann...", Holger seufzt, "kneifen wir noch ein bisschen länger."
Betretenes Schweigen erfüllt die Runde. Gegenvorschläge gibt es nicht.
"Also gut." Holger legt einige Papiere zusammen und vor sich ab, greift nach der obersten Akte, die neben ihm gestapelt sind und platziert sie vor sich. "Kommen wir zu den Einzelfällen."
Eine gut gefüllte Mappe öffnend, wirft er einen kurzen Blick auf die oberste Seite. "Wie sieht es bei Gereon aus? Gibt's etwas Neues?"




"Sein Fieber ist gesunken." Anna-Maria faltet die Hände auf dem Tisch. "Ich glaube, er ist über den Berg. Ich würde ihn aber noch ein paar Tage von der Schule befreien."
"Okay. Ich setze ein Entschuldigungsschreiben auf." Holger notiert die Aufgabe auf einem bereits zur Hälfte beschriebenen Blatt. "Wissen wir denn inzwischen, warum er nachts raus gefahren ist?"
"Mir hat er nur gesagt, er musste etwas erledigen." Die Angestellte zuckt ratlos mit den Schultern.
"Nachts. Im Regen." Ilsa zieht missbilligend eine Braue in die Stirn. Es überrascht sie nicht, dass diese verdammten Kinder tun, was sie wollen. Sie müssten grundsätzlich härter angegangen werden. Früher hat niemand aufgeschrieen, wenn man ihnen ihre Grenzen aufzeigte. Aber heute? Jede erdenkliche erzieherische Maßnahme grenzt an Kindesmisshandlung. So kann man seine Arbeit schlichtweg nicht machen. "Der Bengel hätte die ganze Nacht draußen bleiben sollen. Wenn er den Regen so mag... Aber du musstest ihn natürlich gleich betüdeln. Er hat sich die Grippe verdient, wenn du mich fragst."
Anna-Maria ist entsetzt. Wie kann Ilsa nur so hart sein? Zumal Gereon sich normalerweise sehr anständig und kooperativ verhält. Er muss einen triftigen Grund für sein Tun gehabt haben. Die unterstetzte Frau behält ihre Gedanken für sich. In öffentlicher Runde zu streiten liegt ihr nicht.
"Ich kenne Gereon schon beinahe sein ganzes Leben.", ergreift Holger das Wort. "Er ist kein Ausreißer. Irgendetwas hat er sich dabei gedacht."
Anna-Maria huscht ein zufriedenes Lächeln übers Gesicht. Gedanklich reicht sie dem Vorgesetzten die Hand.
"Der Junge ist ... merkwürdig." Volker nutzt absichtlich eine diplomatische Wortwahl. In seinen Augen ist der Teenager nicht ganz dicht. "Er wirkt nicht dumm oder so. Ganz im Gegenteil scheint er sich viele Gedanken zu machen. Aber manchmal hat der einen Blick drauf ...", der Erzieher pausiert und sieht sich in der kleinen Runde um, "da läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Habt ihr mal die Akte gelesen?"
Anna-Maria weiß, worauf der Kollege anspielt und auch Ilsa nickt wissend.
"Vergangene Untersuchungen belegen, dass er vollkommen gesund ist.", wirft Holger ein. "Trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass er Hilfe braucht. Die Schulpsychologin ist da dran. Wir müssen Vertrauen und Geduld haben. Vielleicht bringt die Arbeit mit den Pferden Erfolg." Trotz seiner Worte klingt der Heimleiter nicht überzeugt. Er hat schon zu viele Fehlschläge in Sachen Gereon miterlebt.
"Ich verstehe nicht, was das bringen soll." Ilsa schüttelt genervt den Kopf. "Er sollte in einer Klinik leben."
"Warum?" Holger wird aufmerksam bei diesen Worten. "Er war nie eine Gefahr. Weder für Sim, noch Tier. Mit welcher Begründung sollten wir ihn abschieben?"



Einen Stapel Arbeitsblätter und kopiertes Schulmaterial auf dem Schoß, schiebt Ronja ihren Rollstuhl die Gänge entlang. Gereon liegt mit Fieber im Bett und sie hat sich bereit erklärt, ihm die Hausaufgaben und Unterrichtsmaterial zu bringen. Zu ihrer Rechten öffnet sich plötzlich eine Tür und jemand befördert den Hauskater "Barny" durch den schmalen Spalt nach draußen. Mit einem kläglichen Miauen sprintet er an Ronja vorbei und schafft es gerade noch ohne Ausrutschen um die nächste Ecke.
"... dass er Hilfe braucht. Die Schulpsychologin ist da dran. Wir müssen Vertrauen und Geduld haben. Vielleicht bringt die Arbeit mit den Pferden Erfolg.", hört Ronja noch, ehe sich die Tür mit einem Klick wieder schließt. Irgendeine Besprechung des Personals. Sie versetzt dem Stuhl einen kräftigen Schub. Sollte jemand heraus kommen, will sie auf keinen Fall den Eindruck erwecken, sie habe gelauscht. Pferde. Gereon hat seit neuestem einen Job auf einer Ranch, das hat sich bereits herumgesprochen. Er ist also auch in Behandlung bei der Schulpsychologin...

Ronald, der Betreuer mit der meisten Energie, nur oft fehl am Platz, kippelt mit dem Stuhl vor und zurück. Etwas was ihm sonst als gutes Beispiel vor den Kindern untersagt ist. Mit verschränkten Armen hört er den Anwesenden zu und folgt ihnen mit den Augen. „Ilsa, du siehst das wie immer viel zu eng.“ sagt er mit einem verschmitzten Lächeln und sieht auch Volker an um zu sagen das er ebenso gemeint ist. „Er ist ein Teenager. In der Phase gehen eine Menge verrückter Dinge zu und her. Vielleicht ist er verliebt?“ er grinst zu Holger hinüber, „Klar sagt er nicht wo er war.“
„Vertrauen. Das ist das Zauberwort.“ Mareike, Teilzeitkraft und eine der jüngeren Mitarbeiterinnen lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. “Er ist sehr verschlossen und unser erklärtes Ziel sollte sein, ihm ein Umfeld zu garantieren, dass es ihm ermöglicht sich zu öffnen und Vertrauen zu fassen. Seine Vergangenheit besteht aus Herumgeschubst und verurteilt zu werden.“ Sie lächelt Ronnie zu und nickt gen Anna-Maria. „Er muss endlich das Gefühl bekommen, dass er angenommen wird. Warum unterstellen wir ihm die übelsten Motive?“ Sie weist auf Ronald. „Er hat recht. Wie soll er sich wie ein normaler Teenager entwickeln können, wenn wir ihn nicht wie einen solchen behandeln? Gereon hat Probleme, ja, aber wir lösen sie nicht, indem wir ihn in der Klinik in ein Umfeld werfen, indem er nur eine Nummer ist.“
"Eine Einweisung unserer Kinder steht nicht zur Debatte." Holger blickt ernst in die Runde. "Wir können es als Fortschritt ansehen, dass Gereon Kontakte zu Gleichaltrigen in der Schule aufgebaut hat. In all den Jahren kam das nicht vor. Wir müssen diese Entwicklung unbedingt unterstützen. Davon unabhängig erwarte ich von allen,", wieder sieht er von Gesicht zu Gesicht, bleibt bei einigen länger als bei anderen, "dass Augen, Ohren und Antennen auf Empfang gestellt sind, was die neue Therapeutin und die Ranch angeht. Ich habe wirklich Hoffnung, dass sich endlich etwas in Gereon tut." Er schließt die Akte und wartet einen Moment, ob jemand noch etwas hinzuzufügen hat, ehe er sich dem nächsten Fall widmet.
Ronny nickt und zuckt die Schultern, was ein 'klar' bedeutet.



"Unser letzter Neuzugang, Ronja Thaler." Holger öffnet die nächste Akte. Nur wenige Seiten enthalten Informationen, die von anderen Behörden zusammengetragen wurden. "Sie ist zwar noch nicht lange genug hier, um viel über sie sagen zu können, aber in Anbetracht ihrer Behinderung würde ich gern unsere Beobachtungen teilen. Gab es irgendwelche Auffälligkeiten oder Probleme, die wir besprechen sollten? Wie ist euer Eindruck?"
Aufblickend räuspert sich Mareike. "Ich hab vor kurzem mit Phönix Bright sprechen können. Er erzählte mir, dass er sie zum ersten Termin bei Dr. Darkholme begleiten wollte, Ronja sich aber quasi vor der Tür, nicht überwinden konnte dazu. Er hat sie dann nach Hause gefahren und sie hat zugestimmt einen neuen Termin zu vereinbaren. Darüber reden, was ihr Angst gemacht hat, wollte sie nicht." Sie richtet sich auf und tippt mit umgekehrtem Kugelschreiber auf der Tischplatte herum. "Im Haus scheint sie gut zurecht zu kommen. Was habt ihr für einen Eindruck vom Verhältnis zwischen Dennah und ihr? Ich hab das Gefühl, das harmoniert nicht besonders, auch wenn keins der Mädchen sich mir gegenüber bisher geäußert hat." Sie blickt fragend in die Runde.
"Das ist nicht leicht einzuschätzen.", gibt Holger zu Bedenken. "Immerhin sind beide noch nicht lange hier. Die Vergangenheit beider Mädchen ist fragwürdig. Und beide scheinen ein gewisses Talent zur Sturheit zu haben."
Während Ilsa sich mit verschränkten Armen zurück lehnt und sich auf die Zunge beißt, entfährt Volker ein genervtes Lachen. "Dennah harmoniert am besten mit Jungs.", kommentiert er salopp. "Sie will ständig auffallen. Da ist ihr Ronja vermutlich eher im Weg."
"Ich glaube daran, dass sie nur etwas Zeit brauchen." Anna-Maria lächelt zaghaft. Wenn sie eines in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelernt hat, dann, dass sie zu mehr fähig sind, wenn man ihnen nur Vertrauen schenkt. "Ich glaube, sie sind sich ähnlicher, als es den Anschein hat. Wenn wir ihnen Zeit und Freiraum geben, werden sie zueinander finden."
"Was?! Wie viel Freiraum soll die denn noch bekommen?" Ilsa zieht entsetzt die Brauen tief in die Stirn. "Dennah ist die Einzige, die hier kommt und geht, wie es ihr passt. Sie hält sich nicht an Regeln, ignoriert Maßregelungen und ist grade erst tagelang weg gewesen. Dann kommt sie wieder mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre das hier ein Hotel."
"Sie ist ein Teenager in einer für sie schwierigen Situation." Anna-Maria bleibt ruhig in Tonfall und Mimik, obwohl ihr die Einstellung der Kollegin absolut nicht gefällt. "Sie wurde ihrem gewohnten Umfeld entrissen, auf eine neue Schule geschickt und sie darf keinen Kontakt zu ihren Eltern haben. Ich habe den Eindruck, dass sie eine sehr feinfühlige junge Dame ist, dessen Fehlverhalten aus Unsicherheit heraus entsteht. Ihre Eltern waren nicht in der Lage, ihr sozialen Umgang beizubringen und sie landet an einem Ort, an dem genau das vorausgesetzt wird." Fürsorge liegt im Blick der gedrungenen Frau, als sie sich ihrem Vorgesetzten zuwendet. "Ich bin überzeugt davon, dass sie zugänglicher wird, wenn wir ihr entgegen kommen."
"Was schlägst du vor?", fragt Holger neugierig.
"Ich finde, wir sollten sie ihre Eltern besuchen lassen. Im Gegenzug dafür, muss sie sich ihren Aufgaben mehr widmen."
Holger nickt nachdenklich. Dennah ist ein ungewöhnliches Mädchen. Verschlossen und offenherzig zugleich. Er hat des öfteren beobachtet, wie sie Anderen beherzt unter die Arme gegriffen hat, wenn es Schwierigkeiten gab. Sie kümmert sich ohne zu zögern um blaue Flecken, Blessuren und Schürfwunden und scheint ein Gespür dafür zu haben, wann sie eingreifen muss.
"Sie zeigt durchaus Engagement für Hilfsbedürftige.", stimmt er zu. "Wenn wir ihre Haushaltspflichten mit denen von Ronja zusammen legen würden, könnte ich mir vorstellen, dass sie sich weniger dagegen sträubt. Und vielleicht bringt es die Mädels sogar etwas zusammen." Sein Blick geht zu Ronny. "Würdest du den Haushaltsplan der beiden überarbeiten? So dass sie ihre Pflichten gemeinsam erledigen. Das könnte beiden zugute kommen."
„Wird erledigt.“ sagt Ronny, setzt sich schlagartig auf und tippt etwas in seinem Diensthandy ein.



Es wird Still, bis Karde Tomasz auf den Plan ruft. Ronny schaut auf. Er hat mitbekommen was passiert ist, da er der jenige im Dienst war, als die Polizei auftauchte. Allerdings kann er sich das Ganze nicht erklären.
Tomasz wurde vor kurzem hinter einer Tankstelle in Newcrest von der Polizei festgenommen und die Belegschaft ist sich nicht sicher wie damit umzugehen ist.
Die Polizisten, brachten ihn zum Heim und berichteten, dass er Cannabis bei sich hatte. Etwas zu viel um legal zu sein. Ein Mann sei bei ihm gewesen, der behauptete, er hätte es ihm verkaufen wollen und ist schließlich entkommen. Es droht eine hohe Geldstrafe und Tomasz war noch nicht ruhig genug um die Sache aus seiner Perspektive erklären zu können. Auf Grund seines 'Zustandes' verzichtete die Polizei darauf ihn auf das Revier zu nehmen, zu mal er noch nie in einem Polizeiregister registriert wurde.
"Also ich hab keine Ahnung was wir da machen sollen..." sagt Ronny und verzieht die Mundwinkel unwissend nach unten.
"Wer hat den besten Draht zu ihm?" Mareike blickt in die Runde und schließlich wieder zu Ronny. "Er wird am ehesten fähig sein, sich zu erklären mit einer Person seines Vertrauens. Sonst ist die Aufregung zu groß und er verschließt sich."
Stumme Blicke werden zwischen den Pädagogen ausgetauscht, bis sie sich auf dem Heimleiter zu bündeln scheinen. Holger kennt den Teenager am längsten von allen - schon seit Tomasz ein Junge von sieben Jahren war. Doch je älter er wurde, umso mehr verschloss er sich. "Vielleicht hilft es ihm, wenn er seine Variante aufschreiben kann.", überlegt Holger laut. "Für den polizeilichen Bericht muss es sowieso zu Papier gebracht werden. Ich rede mit ihm." Die letzten Worte lauter betont, kitzelt er eine schwer leserliche Notiz auf seinen Zettel, ehe er aufsieht und die Runde mustert. "Gibt's sonst noch etwas?"




---


Im oberen Stockwerk schleicht Gereon vom Bad zurück ins Zimmer. Noch immer stark hustend fühlt er sich ausgelaugt, doch der Gedanke, sich wieder ins Bett zu legen, macht es nicht besser. Tagelang hat er dort gehockt, dick in Decken eingehüllt, der Kopf viel zu verstopft, um irgendetwas tun zu können, außer schlafen. Selten war er so krank.
Seine Decke um die Schultern gelegt, sucht er auf dem Sofa eine bequeme Position, um dem Körper mal ein anderes Gefühl zu geben. Rücken und Nacken sind vom Husten verspannt und so richtig will sich keine Gemütlichkeit finden lassen. Den Fernseher auf leiser Stufe eingeschaltet, schließt Gereon die Augen. Einfach nur berieseln lassen. Stimmen aus der Mattscheibe lullen seine schwerfälligen Gedankenfetzen hintergründig ein, was ihm ein angenehmes Gefühl davon gibt, das die Zeit vergeht, während er selbst in einer Blase von stupider Regungslosigkeit festzusitzen scheint. Ohne auf die herumschwirrenden Worte zu achten, lässt er sich in ihrem Klang sinken.
Eine alte Frau liegt zwei Straßen entfernt in ihrem Bett. Sie ist ebenso müde, wie Gereon, aber auf eine andere Art. Sie fühlt sich leicht und sorglos. Sie weiß, dass es Zeit für sie ist, zu gehen und sie hat keinen Grund, sich dagegen zu sträuben. Ihr Leben war lang und erfüllt. Sie hat ihr Bestes getan, ein guter Sim zu sein und beim Anblick ihrer Kinder fühlt sie voller Stolz, dass sie ihre Sache im Großen und Ganzen gut gemacht hat.
Der letzte Atemzug trägt sie fort - bereit, sie in der nächsten Ebene willkommen zu heißen.
Gereon lässt die Eindrücke geschehen. Mit der Zeit hat er gelernt, sich nicht dagegen zu wehren. Stillschweigend empfängt er, was sie ihm zeigt. Die aufgeregte Freude, als sie ihren ersten Arbeitstag an der Schule begann. Die Schule, die heute ein Waisenhaus ist. Ein gefülltes Klassenzimmer, zwei dutzend erwartungsvolle Augenpaare, und unbändiger Enthusiasmus.
Nicht immer ergeben die Bilder für Gereon Sinn. Und nach all den Jahren weiß er noch immer nicht, warum er sie überhaupt sieht. Doch je mehr es werden, desto besser versteht er eines: Es sind die wichtigsten Stationen im Leben der Gelebten. Die Momente, die sie dahin führten, wo sie letztlich landeten. Unwillkürlich fragt sich Gereon, was wohl seine Szene werden wird. Und wer sie empfangen wird. Oder ist er der Einzige? Nicht zum ersten Mal drängt sich ihm diese Frage auf. Wenn er doch nur wüsste, wo er Antworten bekäme ...



Der Treppenlift schlägt am Ende der Stufe mit einem kleinen Ruck an und Ronja betätigt den Knopf, um die Bügelsicherung zu heben. In Gedanken rollt sie ein paar Meter den Gang entlang, stoppt aber abrupt, als sie vor dem Gemeinschaftswaschraum einen Wagen des Reinigungspersonals entdeckt. Die Tür zu dem Raum ist geschlossen. Es ist unklar, ob überhaupt eine der Reinigungskräfte dort beschäftigt ist. Vielleicht schwatzt sie auch gerade irgendwo draußen bei Kaffee und Kippe mit einer Kollegin. Wachsam wirft Ronja einen Blick zurück über die Schulter. Niemand zu sehen. Den Rollstuhl mit energischem Schwung zum Wagen bugsieren und der Griff nach zwei kleinen Handdesinfektionsmittelfläschchen ist ein einziger, schneller Vorgang. Keine zehn Sekunden später erreicht Ronja mit ihrem Schatz in den Taschen des Kapuzenhoodies Gereons Zimmer. Die Dinger sind einfach so praktisch, passen überall rein, aber kosten. Wird schon keinem auffallen.
Behutsam lenkt sie nach seinem 'Herein' zum Sofa und mustert ihn einen Augenblick. "Hi Gereon. Ich bring dir heiß ersehnten Schulkram." Sie schwenkt den Zettelstapel. "Hausaufgaben." Ein weiterer prüfender Blick. "Sorry, aber du siehst ziemlich scheiße aus. Wie lang liegst du schon flach?" Die Frage lenkt sie von dem sich langsam ausbreitenden, flauen Gefühl im Magen ab. Sie ist allein hier drin mit ihm...im Jungentrakt...



Ziemlich scheiße trifft es ganz gut, findet Gereon. "Den vierten Tag.", nuschelt er hinter seinem auf den Knien abgelegten Arm. Die Worte gehen in ein trockenes Husten über, die Beuge ins Gesicht gepresst, wendet Gereon sich etwas ab, bis der Anfall überstanden scheint. "Danke fürs Vorbeibringen.", ächzt er. "Verpasse ich irgendwas Spannendes da draußen - in der Welt der Lebenden?" Schniefend greift er zur Thermoskanne und gießt sich Tee ein.
„Nicht das ich wüsste.“ Ronja legt den Papierstapel auf das Sofa und schüttelt den Kopf. „Verpasst man in dieser Welt überhaupt je was?“ fragt sie ohne eine Antwort zu erwarten. Nach kurzer Überlegung wirft sie ihm einen undefinierbaren Blick zu. „Die Erzieher haben gerade eine Besprechung. Ich hab im vorbei fahren ein bisschen was aufschnappen können…" Unsicherheit mischt sich in ihren Tonfall. „Du bist bei Dr. Darkholme? Ich soll auch zu der.“ Einmal durchatmen. „Hattest du schon eine Sitzung mit ihr?“
Bedenkenlos nimmt Gereon einen Schluck aus der Tasse. Der Tee ist längst nicht mehr heiß. "Mehr als eine.", antwortet er neutral. "Wird das deine erste Therapie?"
„Ja..“ Mit gesenktem Kopf pult Ronja an ihrer Nagelhaut herum. „Wie ist sie so? Ich hab komische Sachen gehört..“ Aufblickend stoppt sie die nervösen Gesten und schiebt eine Hand unter den Oberschenkel. „Dass es sich so anfühlt, als könne sie in einen rein gucken und sowas.. stimmt das?“ Ihr wird heiss bei dem Gedanken und der Blick, den sie Gereon zuwirft, wirkt beinahe flehentlich. Sag, dass das nicht wahr ist.



Die Tasse lässig in einer Hand haltend, fängt er Ronjas Blick auf. Es ist unübersehbar, welchen Kampf sie führt. "Kann ich nicht bestätigen.", sagt er trocken. Auch bis zu seinen Ohren ist dieses Gerede gedrungen, aber nachvollziehen konnte er es bisher nicht. Vielleicht ist das ein Indiz dafür, dass mit seinen Emotionen tatsächlich etwas nicht stimmt. Vielleicht übertreiben die Anderen aber auch. Die ganz eigene Ausstrahlung der Schulpsychologin ist nicht zu leugnen und Sims bauschen gern Dinge auf. "Mach dir keine Sorgen.", Gereons Ausdruck bleibt neutral. "Sie ist nur ein Sim." Sein Blick richtet sich auf einen imaginären Punkt neben dem Mädchen, als er die Tasse leert. "Ich wünschte nur, sie würden nicht ständig Therapien anordnen.", seufzt er leise vor sich her und stellt das Gefäß auf dem kleinen Tisch ab.
Nur zum Teil beruhigt, sieht Ronja den Mitschüler zweifelnd an. Irgendwie müssen die Gerüchte um diese Ärztin ja begründet sein. Andererseits ist Gereon bei ihr in Behandlung, weiß also wovon er spricht. Resigniert atmet sie hörbar aus. "Du bist auf einer Pferdefarm oder sowas, nicht wahr?" Ausdruckslos mustert sie ihre Beine. "Keine Ahnung ob ich auch in Therapie muss oder ob sie sich was anderes einfallen lässt wegen meiner Lähmung." Jetzt doch interessiert neigt sie den Kopf seitlich und schürzt den Kopf hebend leicht die Lippen. "Wie gefällt dir die Arbeit da?"
Die Decke einige Zentimeter nachziehend klemmt Gereon den Saum unter die Füße. Ronjas Worte finden nur schwerfällig durch den verrotzten Nebel im Kopf zu ihm. Deutet sie gerade an, dass ihre Lähmung psychischer Natur ist? Gibt es die Möglichkeit, dass sie eines Tages nicht auf einen Rollstuhl angewiesen ist? Die Überlegung, wie es wohl ist, mit solchen Gedanken zu leben, lässt ihn einen Moment schweigend da sitzen, ehe ihre Frage ihn erreicht. Bisher hat er nicht darüber nachgedacht, wie es ihm auf der Ranch gefällt. Es ist wie mit all den anderen Dingen auch. Weder mag er es, noch mag er es nicht. "Es ist okay.", sagt er. "Ich habe eigentlich nichts mit Pferden am Hut. Ich lerne jedes Mal dazu, das kann nichts Schlechtes sein." Eine Gedankenpause folgt. Aus der Hosentasche kramt Gereon ein frisches Taschentuch hervor, schnäuzt sich und wirft das Tuch in die kleine Tüte, die neben ihm auf dem Sofa liegt. "Die Leute dort sind in Ordnung, denke ich.", fährt er fort. "Es scheint ein paar Konflikte zu geben. Aber sie sind ... freundlich." Sein unbewegter Blick trifft das Mädchen. "Hast du Grund zu der Annahme, dass sie dir irgendeine Aufgabe zuweisen könnten?"



Etwas ratlos zuckt Ronja die Schultern. "Ist das nicht immer so?" Sie hebt spöttisch die rechte Braue. "Weil Aktivitäten scheinbar alle Verletzungen heilen?" Unstet wandert ihr Blick am Boden entlang, ehe sie wieder zu Gereon sieht. "Keine Ahnung. Ich kann ja wohl schlecht im Rollstuhl in den Boxen herumeiern und da sauber machen." Auf der Unterlippe kauend, hält sie im sprechen inne. "Ich finde Dr. Darkholme sieht gruselig aus und deshalb wollte ich dich mal fragen, wie 's dir geht mit ihr... sie macht mir ein bisschen Angst." Blutgeschmack breitet sich in ihrer Mundhöhle aus, als sich ihre Zähne in dieser Gesprächspause wieder an der inneren Lippe zu schaffen machen. "Danke, dass du mit mir geredet hast." Ronja schluckt die eklige Spucke und ringt sich ein Lächeln ab.
"Gruselig ...", wiederholt Gereon nachdenklich. Wegen der ungewöhnlichen Hautfarbe? Der gelben Augen? Viele Sims fürchten sich vor dem, was 'anders' ist. Demzufolge müsste sie Kurt auch gruselig finden. Oder liegt es an Frau Darkholmes unterkühlten Art, die sie schwer einordnen lässt? Grusel entsteht in der Regel durch das Unvermögen, Gefahren abzuschätzen. Das Bild des Schachtes schiebt sich in seinen Geist. Dort zu stehen war gruselig. Mit jeder Erinnerung daran schwindet der unheimliche Schauer und zurück bleibt eine perfide Neugierde, an die Gereon sich immer mehr gewöhnt. "Ich finde sie eher unangenehm.", sagt er monoton. "So auf dem Level eines Insektenstichs. Nicht wirklich gefährlich." Die eindringliche Warnung von Rita und Ingo kommen ihm plötzlich in den Sinn. Der Frau dürfe man nicht trauen. "Es sei denn, du bist Allergiker. Sie lässt mich nicht sein, wie ich bin. Aber das liegt vermutlich an ihrem Beruf." Oder daran, dass Erwachsene scheinbar einfach so sind. "Ich rate dir, hör dir an, was sie zu sagen hat. Denk darüber nach, so objektiv du kannst. Aber lass dir nicht vorschreiben, wer du zu sein hast. Das ist allein deine Entscheidung."



Lass dir nicht vorschreiben, wer du zu sein hast. Gereons Formulierung raubt Ronja für einen Augenblick den Atem. Sie starrt ihn an, unfähig sofort zu reagieren. "Es ist ihr Blick. Der geht mir durch Mark und Bein.", bringt sie schließlich heraus und fragt sich gleichzeitig, ob die Fantasie ihr vielleicht einen Streich spielt. "Ich werd dran denken, was du gesagt hast beim Termin.", nickt sie tapfer. "Brauchst du noch irgendwas? Ich hau sonst wieder ab."
"Nei-", hustend bricht er ab. Ruckartig wendet er sich zur Fensterfront, die Ellenbeuge vors Gesicht gerissen, und kläfft abgedämpft in seinen Arm hinein. Es presst schmerzhaft seine Schläfen zusammen, zerrt am hinteren Bereich des Schädels, so dass sein Körper sich gegen das Husten wehrt. Schwer atmend hebt er schließlich den Kopf. Das ist so ätzend wie anstrengend. "Entschuldige.", presst er hervor. "Danke fürs Vorbeischauen. Ich lege mich am besten noch mal hin."


(In Zusammenarbeit mit @Ripzha und @simscat2 )


>>> Anna-Maria geht nach Windenburg - Neue Wege Klinik (2) >>>
>>> Holger geht nach Windenburg Nr. 18 - Krankenhaus (2) >>>


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21.03.2025 20:56 (zuletzt bearbeitet: 06.04.2025 13:41)
#14
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<<< Holger kommt von Brindleton Bay Nr. 3 - Haus der Garcias (32) <<<
<<< Dennah kommt von Brindleton Bay Nr. 3 - Haus der Garcias (32) <<<


Charaktere: Holger, Dennah
Geschichtsstrang: Die Sache mit Dennah



Holgers Hände ineinander gelegt ruhen auf dem Tisch vor ihm, sein prüfender Blick studiert das Mädchen auf dem Sessel. "Wenn das gut für dich ausgehen soll, wirst du dich an einige Regeln halten müssen.", erklärt er ohne Strenge in der Stimme. "Ich kann verstehen, dass Regeln für dich ungewohnt sind. Aber je besser du dich daran hältst, umso eher wird die Staatsanwaltschaft zu deinen Gunsten entscheiden. Ich kann dir nur bedingt dabei helfen."
Ungehalten seufzt Dennah genervt. Das ist nicht fair. Sie ist siebzehn - quasi schon lange erwachsen. Aber wenn sie sich nicht fügt, wird sie Blaze vielleicht sehr lange nicht wiedersehen.
Blaze ... Ihre Brust wird warm, als sie an ihn denkt. Seine Lippen waren so weich, seine Schultern stark und sein Duft ...
"Dennah?"
Aus der Träumerei herausgerissen ruckt ihr Blick einige Zentimeter höher in Holgers Gesicht. Man, der ist so alt. Und so hart spießig. Selbst seine Körperhaltung wirkt künstlich. Als hätte man ihm den Stock bis in den Darm gerammt. Blaze Körperhaltung ist viel schluffiger, irgendwie gemütlich. Er strahlt eine Sicherheit aus, in die sie sich einfach einlullen möchte und -
"Dennah!"



"Was denn?", faucht sie gereizt. "Ich bin doch hier."
"Körperlich vielleicht. Aber ich brauche deinen Geist." Es ist nicht zu erkennen, ob der Heumleiter genervt oder amüsiert ist. "Ich weiß ja, du bist verliebt und er ist nicht hier. Aber kannst du dich nur einen Moment konzentrieren, bitte? Wir müssen jetzt über die nächsten Schritte sprechen. Danach kannst du träumen und schwärmen, wie es dir gefällt." Die Brauen fordernd in die Stirn gezogen, wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine Bitte handelt.
"Ich will mein Handy wieder haben." Grimmig verschränkt Dennah die Arme vor der Brust.
"Dein Handy.", wiederholt Holger. Hört sie ihm überhaupt zu? Die Aufmerksamkeitsspanne dieses Mädchens lässt wirklich zu wünschen übrig.
"Ja, mein scheiß Handy. Der schlechtgelaunte Typ hats mir weg genommen. Vor Ewigkeiten. Aber es ist meins und ich brauche es."
Ein schlechtgelaunter Typ ... "Ich weiß nichts über ein Handy. Können wir erstmal das eine Thema abhaken, dann kümmere ich mich gern darum."
"Hab ich eine Wahl?"
"Die hat man immer."

Scherzkeks! Lässt sich gut behaupten, wenn man auf dem fetten Sessel sitzt.
"Gut,", seufzt Holger, als Dennah verbissen schweigt, "fangen wir von Vorn an. Ich bin bereit, für dich eine Pflegestelle zu suchen, damit du deine restliche Zeit nicht in unserem 'Irrenhaus', wie du es wenig charmant nanntest, festsitzen musst. Aber ich kann dir nicht sagen, wie lange das dauern wird. Mit Glück geht es schnell und du kannst schon in ein paar Tagen umziehen. Es können aber auch Wochen ins Land gehen, bis sich etwas Passendes findet." Eindringlich schaut er sie an. "Möchtest du das? Sollen wir dir einen Platz suchen?"
Ein knappes Nicken ist die Antwort.
"Gut. Dann werde ich das noch heute in die Wege leiten. Die Regeln bleiben die selben wie hier. Du musst zur Schule gehen. Jeden Tag, an dem sie stattfindet. Du musst due Hausaufgaben machen und dich an die vorherrschende Hausordnung der Pflegefamilie halten. Verstehst du das?"



"Bin ja nicht doof.", mault sie.
"Niemand sagt, dass du doof bist. Aber es ist offensichtlich, dass du weder Disziplin, noch die Weitsicht besitzt, um die Konsequenzen deines Widerstandes zu erkennen." Ihren überraschten Blick auffangend, rückt er sich in dem Sessel zurecht. "Es geht jetzt um weit mehr, als darum, dass man dir einen Gegenstand entziehen könnte. Das musst du dir klar machen. Mir könnte es egal sein, was aus dir wird." Betonend legt er eine flache Hand auf seine Brust. "Ich mache hier meine Arbeit, egal ob du ein Teil davon bist oder nicht. Du allein lebst Jahre später mit den Umständen, die du dir mit den heutigen Entscheidungen schaffst. Ich will ehrlich zu dir sein. Du hast vom Leben nicht gerade die besten Karten ausgeteilt bekommen. Aber das muss nicht so bleiben."
Dennahs Mimik enthärtet sich ein wenig.
"Du kannst etwas aus dir machen.", fährt Holger fort. "Aber dafür musst du dich entscheiden. Und du musst dafür arbeiten. Das mag in deinen Ohren nicht fair klingen. Und manchmal ist es das auch nicht. Aber es ist eben das, was du bekommst."



Mit gesenktem Blick nickt Dennah. Also gut. Sie wird es versuchen.
Holger schenkt ihr ein aufbauendes Lächeln. "Dann suchen wir jetzt dein Handy."


>>> Holger geht nach Tartosa - Haus Fam. Falck Sr. >>>


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27.03.2025 15:08 (zuletzt bearbeitet: 08.04.2025 14:08)
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<<< Gereon kommt von Chestnut Ridge Nr. 8 - Pferderanch (4) <<<


Charkatere: Gereon, Dennah
Geschichtsstrang: Kosinus



"Nein, das geht nicht." Gewohnt ausdruckslos sieht Gereon seine Gegenüber an. "Du kannst den Kosinussatz nur verwenden, wenn du zwei Seiten und den Winkel dazwischen kennst." Auf das Papier vor sich deutend, bleibt er geduldig, obwohl er seit mehr als fünfzehn Minuten versucht, Dennah auf den aktuellen Stand des Unterrichts zu bringen. Er hinterfragt nicht, warum gerade ihm diese Aufgabe zufällt. Irgendwer muss es tun. Sie hat lange gefehlt und die Abschlussprüfungen nähern sich.
"Man, das ist doch langweilig.", stöhnt das Mädchen laut auf. "Wofür brauch ich denn so einen Kram überhaupt?"
Im Stuhl zurückgelehnt verschränkt Gereon die Arme. "Naja, zum Beispiel in der Elektrotechnik. Oder in der Luft- und Raumfahrt. Ingenieure und Architekten nutzen trigonometrische Funktionen auch häufig."
Verständnislos blinzelt Dennah den Jungen mit offenem Mund an. "Dein Ernst? Seh ich so aus, als würde ich irgendetwas davon in nächster Zeit vor haben?"
"Vermutlich nicht.", antwortet Gereon trocken. "Aber darum geht es nicht."
"Ist mir egal." Schmollend richtet Dennah die Aufmerksamkeit in Richtung des Büros der Heimleitung. "Ich seh nicht ein, warum ich mich an hirnlose Regeln halten soll, wenn die meinen Kram verschlampen. Das ist einfach nicht fair."



Gereons Blick folgt dem von Dennah. Er hat keine Ahnung, was sie da redet. Einen Moment überlegt er, ob er nachfragen oder lieber ruhig sein sollte, da reißt Dennah bereits den Kopf zu ihm herum. "Die haben mein Handy verloren! Kannst du dir das vorstellen? Diese dämlichen ... mmphhh!" Das Gesicht zornig verkniffen grummelt sie wüste Schimpftiraden in sich hinein.
Gereon betrachtet das Mädchen. Er versteht ihren Ärger. Die meisten Sims haben private, teilweise sogar intime Dinge auf ihrem Telefon gespeichert. Es geht nicht um den finanziellen Wert - was sicherlich schon ärgerlich genug wäre. "Hattest du da viele wichtige Sachen drauf?"
Dennahs Blick wird leidig. "Es geht hauptsächlich um die Nummern. Die hab ich doch nicht in Kopf." Sie sackt in sich zusammen. Was ist, wenn Blaze versucht, sie zu erreichen? Der Drang, zu ihm zu fahren, wird mit jedem Tag, den sie hier festsitzt, stärker. Sie kann nicht abhauen - nicht dieses Mal. Karde machte sehr deutlich, welche Konsequenzen das für sie hätte.
"Vielleicht kannst du am Wochenende zu den Leuten fahren und dann die Nummern aufschreiben." Ohne eine Spur von Emotion im Gesicht sieht Gereon sie an. "Sofern du ihre Aufenthaltsorte kennst."



Keine schlechte Idee. Die Lippen leicht gespitzt schiebt Dennah den Gedanken in den Hinterkopf. Sie wird einen der Aufpasser fragen. Wie ein braves Mädchen es tun würde. In vier Tagen könnte sie Blaze wiedersehen. Vier Tage, um ihren guten Willen zu zeigen. "Also,", sie lehnt sich Gereon entgegen, bereit die Mathelektion in ihr Gehirn zu prügeln, "wie ist das jetzt mit dem Koitussatz?"


>>> Dennah geht nach Tartosa - Haus Fam. Falck Sr. >>>
>>> Gereon geht nach Willow Creek Nr. 16 - Haus Darkholme (2) >>>


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12.04.2025 10:53 (zuletzt bearbeitet: 02.05.2025 12:01)
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<<< Sullivan 'Blaze' Blaisdell kommt von San Sequoia - Haus S. Schmidt (2) <<<
<<< Gereon Castillo kommt von Willow Creek Nr. 16 - Haus Darkholme (2) <<<

Charkatere: Blaze, Gereon, Tomasz, Holger
Geschichtsstrang: Brief ohne Absender


Er ist seit Tagen unruhig, mit dem ständigen Gefühl, etwas übersehen zu haben. Jetzt steht er da, in Newcrest, ein paar Meter vom Waisenhaus entfernt, wo Dennah ist… sein könnte.
Es ist später Nachmittag. Kinderstimmen hallen von den Wänden.
Blaze steht auf dem Gehweg, Hände in den Taschen, der Blick schweift zur gegenüberliegenden Strassenseite – sein Vater wohnt dort. Direkt da drüben.



Und obwohl das Haus wie immer wirkt – gepflegt, ruhig, tot – zieht sich in Blaze alles zusammen. Die Nähe fühlt sich falsch an. Wie eine Glut, die man zu nah an die Haut hält.
Er hat das Gefühl, beobachtet zu werden. Vielleicht ist es Einbildung.
Aber er ist nicht hier wegen seinem Vater.
Er ist hier wegen ihr.
Nach der Trauer ist er wütend geworden. Darüber, dass sie ihn so ausblendet. Dass sie ihn zurücklässt – ohne ein Wort. Ohne zu sagen, was los ist.
Er weiss, dass das nicht fair ist. Dass sie ihr eigenes Päckchen zu tragen hat. Aber das hilft nicht. Nicht, wenn man jemanden vermisst, und nicht weiss, ob man überhaupt noch ein Thema ist. Hätte sie einen anderen Ruf, dann…
Er weiss es selbst nicht genau.
Er will jetzt einfach nur wissen, ob sie noch da ist. Ob jemand was gesehen hat. Vielleicht auch nur, damit er mit Sicherheit weiss, dass er die Nähmaschine in die nächste Tonne kloppen kann.
Er atmet durch. Dann geht er los.
Vor dem Gebäude toben ein paar kleinere Kinder. Zwei Mädchen werfen sich einen Ball zu.
Beim Eingang steht ein Securitytyp mit Sonnenbrille und Funkgerät. Blaze zögert. Keine Ahnung, ob der ihn einfach reinlassen würde. Sind Besuche überhaupt erlaubt?
Er schaut zur Seite. An der Wand, etwas abseits vom Trubel, stehen zwei Jungs. Beide älter, nicht viel jünger als Blaze selbst. Der eine trägt ne Mütze tief ins Gesicht gezogen, der andere ein dunkelrotes Beanie. Sie wirken, als würden sie nicht dazugehören.



Raucher. Aussenstehende. Vielleicht haben sie was mit Dennah zu tun.
Blaze geht rüber. Die beiden schauen auf, als er kommt.
Er bleibt stehen, zieht die Schultern leicht hoch, die Hände in den Taschen.
„Yo.“ Er nickt ihnen zu. „Kennt ihr Dennah? Rote Dreads, Sommersprossen….“
Der im Beanie weicht seinem Blick aus. Nimmt einen Zug von der Kippe, hält den Rauch zurück, als ob er nicht ganz weiss, wie man cool wirkt. Von dem braucht er wohl keine Antwort zu erwarten. Blaze sieht den kleineren an.

Gereon und Tomasz passieren den unbesetzten Securitybereich und verlassen das Gebäude. Sven hat heute Dienst und steht mit dem Rücken zum Eingang auf dem Gehweg. Irgendetwas hält ihn in Bereitschaft.
Prüfend schweift Gereons Blick umher, als ihn plötzlich eine starke Präsenz trifft. Mit beinahe überwältigender Wucht schlagen Bilder auf ihn ein, so dass er tief einatmet und einen fragenden Blick von seinem Freund erntet. Es fällt ihm schwer, die Eindrücke zu sortieren und so sucht er in der Umgebung nach dessen Ursprung. Es ist keines der Kinder, das weiß er sicher.
Seine Aufmerksamkeit wird beinahe gewaltvoll auf die andere Straßenseite gelenkt, wo ein Typ steht und fokussiert herüber schaut, als würde er vor der Entscheidung seines Lebens stehen. Kaum merklich nickt Gereon, wie um sich selbst zu bestätigen, dass er die Ursache gefunden hat. Es ist keine Gefahr, die von dem Anderen ausgeht. Vielmehr ist es ... Leid. In Gedanken fragt sich Gereon, ob der Security sich der Situatuon bewusst ist - und ob es einen Unterschied für seinen Job macht. Gelegentlich kommt es vor, dass leidende Sims herkommen und Ärger provozieren. Doch nie sind sie so jung.
Abwartend steckt Gereon sich eine Zigarette an, mit dem wachsenden Gefühl, das etwas passieren wird. Er sieht auf und stellt fest, dass der Typ auf sie zukommt. Die Körperspannung des Erwachsenen, wenige Meter entfernt, nimmt leicht zu.
Es ist, als würde Gereon durch einen dichten Schleicher aus Bildern sehen, als der Kerl vor ihm steht. Es sind zu viele, als das er irgendetwas klar erkennen könnte. Erinnerungen fluten seine Gedanken, wie Wasser, das aus Eimern über ihn geschüttet wird. Jemand, der dem Typen anhaftet, ist sehr mitteilungsbedürftig.



Träge blinzelnd sucht Gereon seinen Blick. Angst, Reue, Einsamkeit, Trauer, Sorge, Liebe. 'Lass den Scheiß!' - 'Küss mich.'
Dann fragt er nach Dennah. Etwas daran verwundert Gereon für einen Moment, bis Teile ineinander klicken.
"Ehm ... ja." Er nimmt einen Zug. Sein Gesicht ist ausdruckslos, doch in ihm toben verschiedenste Gefühlsregungen, wie Wetterwechsel an der schottischen Küste.

Blaze hält den Blick auf den Grösseren mit dem Beanie gerichtet. Der sagt nichts – starrt nur. Als hätte Blaze gerade einen Tabubruch begangen, einfach so den Namen ausgesprochen, den man hier nicht ausspricht. Tomasz’ Augen huschen nervös zu seinem Kumpel, dann wieder zu Blaze. Und wieder weg. Die Kippe zwischen seinen Fingern glüht, aber er zieht nicht dran.
„Weißt du, ob sie noch hier ist?“ Wendet Blaze sich mit ruhiger Stimme wieder an den Kleineren - so ruhig er eben kann obwohl er grade vor der Info aller Infos zu stehen scheint. „Ich hab seit Tagen nichts von ihr gehört..“



Tomasz dreht sich leicht weg, als müsste er sich schützen. Warum fragt der Typ nach ihr? Was will er von ihr?
Tomasz ballt die freie Hand zur Faust in der Jackentasche.
Dabei war es Tomasz, der ihr vor einer Woche den Haargummi aufhob, als sie ihn verlor. Tomasz, der abends draußen blieb, nur damit sie nicht allein ist beim Rauchen. Tomasz, der glaubt, dass sie ihn vielleicht, irgendwann… vielleicht.
Und jetzt steht da dieser Typ mit viel zu wachem Blick, der irgendwas mit ihr hatte – wahrscheinlich schon mehr, als Tomasz sich je zu hoffen traut – und stellt Fragen, als würde ihm irgendwas zustehen. Warum interessiert den so einer überhaupt, wo sie ist?



Tomasz’ Blick bleibt gesenkt, aber seine Stirn zieht sich zusammen.
Was ist das für ein Arschloch?
Er sagt nichts.
Blaze merkt nicht, dass er von Tomasz still gehasst wird. Der eine Typ — der kleinere, mit dem ausdruckslosen Gesicht und der Zigarette — antwortet immerhin. Das reicht ihm.
Blaze nimmt die Hände aus den Taschen, lässt sie locker an den Seiten hängen.
„Ich will kein Stress machen, ok? Ich will nur wissen, wo sie ist.“



"Sie wohnt nicht mehr hier." Gereon zuckt mit einer Schulter, wirft einen flüchtigen Blick zu Tomasz, dann zum Security, der neugierig herüber schaut, und zurück zu dem Fremden. Von den vielen einprasselnden Eindrücken leicht benebelt, blinzelt er einige Male, um sich zu sammeln und die eine, seine reale Szene zu schärfen. "Die haben sie zu einer Familie gebracht.", sagt er nach einem Moment leise genug, dass nur ihre kleine Gruppe es hören kann. "Keine Ahnung, wohin. Sowas sagen die uns nicht." 'Adrian Töpfer. Küss mich.' Ein Gefühl von kindlichem Ärger durchströmt ihn, direkt gefolgt von unbändiger Angst. Etwas Grauenvolles ist geschehen. Gereons Körper krampft sich zusammen, als ein eiskalter Stich durch seine Glieder schießt - nur den Bruchteil einer Sekunde hält der Eindruck an.
Wer ist bei ihm? Was versucht die Seele, ihm zu sagen?



Er macht einen Schritt auf den Größeren zu, schaut suchend in sein Gesicht. "Du bist ein Freund von ... Adrian? ... Von Chip."

Blaze’ Augen verengen sich. Chip?
Was zur Hölle hat Chip hier zu suchen? Sein Herz macht einen Sprung vor dieser Art von Panik, die einsetzt, wenn man merkt, dass man etwas nicht gesehen hat, das direkt vor der eigenen Nase passiert ist. Wie kennt der Typ Chip? Was zur Hölle bedeutet das?
„Was?“ fragt Blaze sofort. „Wie kommst du auf Chip?“



Tomasz steht derweil stocksteif da, wie eingefroren und mustert den Kerl aus dem Augenwinkel.
Der Kerl, der viel zu gut aussieht. So einer, den man auf der Straße zweimal ansieht, auch wenn man nicht will.
Tomasz schaut auf sich runter.
Seine Arme – zu dünn. Sein Bart – wächst nur in ungleichmäßigen Flecken. Seine Stimme - oh Gott seine Stimme ist sein Feind und der Kerl redet so selbstverständlich.
Tomasz starrt auf dessen Hose – leicht zerschlissen, aber sie sitzt. Wieso steht dem sowas? Ich trag das, und ich seh aus wie ein Penner.



Seine Kleidung wirkt bei ihm wie Absicht. Bei Tomasz ist es bloß… was er halt vom Waisenhaus bekommt.
Seine Gedanken sind noch vor Gereons Antwort. Er hat gar nicht mitbekommen was Blaze gesagt hat, weil er dabei ist seinen Mut zu sammeln. Sein ganzer Mut damit der Typ verschwindet.
Und er sagt, viel zu spät auf die ganze Situation: "V-v-vill-l-leicht ist es b-besser, w-w-w-wenn d-du wieder g-g-g-gehst..." Tomasz kneift kurz die Augen zusammen, dann schaut er auf zu dem Kerl der ihm den Kopf zuwendet. Erschrocken hält Tomasz den Atem an. Ahnend, dass er grade etwas Wichtiges verpasst hat.




Blaze sieht ihn an wie ein Hund, dem man das Futter wegnehmen will.
„Was hast du gesagt?“ Will der Lauch ihm damit etwa grade sagen, dass das hier Chips 'Revier' ist oder was?

Gereon will zu einer Erklärung ansetzen, doch er schließt den Mund, ohne etwas zu sagen. Der Typ würde es nicht verstehen. Er kann es ja selbst nicht in Worte fassen.
Seine Aufmerksamkeit wechselt zu Tomasz, als der überraschenderweise zu sprechen beginnt. Im Hintergrund nähert sich der Security der Gruppe. "Ist hier alles in Ordnung?", ruft er halblaut herüber.



Gern würde Gereon bestätigen, doch er ist sich nicht sicher. Stumm nickt er dem Erwachsenen zu, deutet dem Besucher, ein paar Schritte mit ihm zu gehen und entfernt sich vom Gebäude. "Er wird dich zwingen zu gehen, wenn du Ärger machst.", erklärt er beiläufig, nimmt den letzten Zug seiner Zigarette und lässt den Filter auf den Gehweg fallen. Mit einer drehenden Bewegung zertritt er die Glut, während er die schwirrenden Worte in seinem Kopf zu sortieren versucht. "Langsam.", murmelt er kaum hörbar vor sich her.
"Vor ein paar Wochen hat sie mit Chip rumgehangen. In der Schule. Aber dann war sie eine Weile weg und als sie wieder kam, ging es ihr nicht gut. Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie hatte wohl Ärger mit jemandem." Erst jetzt schaut er auf und fixiert den Anderen mit stechendem Blick. Eins der Bilder verdeutlicht sich in seinem Geist. Er schaut in den Lauf einer Waffe. Überheblichkeit. Hochmut. "Warst du das? Der Ärger?" Seine Stimme klingt mehr informativ als anklagend.



Blaze tritt einen Schritt zurück, hebt kurz die Hände in einer beruhigenden Geste, als der Securitytyp sich nähert. Kein Stress, Mann..
Der Kerl mit der Kippe winkt ihn mit, geht ein paar Schritte vom Eingang weg. Blaze zögert kurz, dann folgt er ihm. Wirft dem mit dem Beanie noch einen knappen Blick zu. Der wirkt, als würde er jeden Moment implodieren, aber Blaze schreibt ihn innerlich einfach ab. Der weiss wahrscheinlich nicht mal, worums geht.
Er steckt die Hände wieder in die Taschen, Schultern leicht hochgezogen. Der Wind streicht über den Asphalt. Kinderlachen hallt hinter ihnen nach. Irgendwo klirrt ein Ball gegen einen Zaun.
Er hört dem Jungen zu.



Okay. Das war eher vor der Sache mit Steph. Beziehungsweise bevor er davon erfahren hat... Und „nicht gut drauf“ – das ist ja wohl noch untertrieben. Als sie in die Villa kam, hatte sie diesen Blick, den er nicht vergessen kann.
Er erinnert sich an das Gespräch im Bad. Die Tränen.
Er sagt nichts auf die Frage, ob er der Ärger war. Oder ein Freund ist.
Was zur Hölle soll er darauf antworten? Freund? Liebhaber? Idiot vom Dienst? Werkzeug? Zuschauer? Das Wort „Freund“ fühlt sich jedenfalls nicht richtig an. Nicht wenn man geghostet wird.
Seine Zunge fährt über die Innenseite der Wange, tastet nach Worten. Keine da. Dann hebt er den Blick. Der Junge weiss vielleicht nicht wo sie hingebracht wurde, oder wo diese Pflegefamilie wohnt aber...
„Hast du… irgendeine Ahnung, warum sie sich nicht meldet?“
Sein Ton ist müde. Er rechnet nicht wirklich damit, dass er etwas weiss. Aber ihm fällt auf, dass die Antwort auf diese Frage vielleicht davon abhängt ob er Freund ist oder nicht.
„Ich mein... wir sind Freunde.“ Das hat sie gesagt. „Deswegen mach ich mir.. halt Gedanken.... Gibts da kein Netz? Oder... keine Ahnung... Hast du was von ihr gehört mal?“



"Ich hatte nicht viel mit ihr zu tun.", schüttelt Gereon den Kopf. "Aber sie hat erzählt, dass einer der Erzieher ihr das Handy abgenommen hat. Und dass sie es nicht wieder bekommen hat." Beide Hände tief in die Hosentaschen schiebend, wandert sein Blick die Straße entlang. Auf der gegenüberliegenden Seite biegen gerade zwei Mädchen in den Weg Richtung Heim ein.
"Es ist scheinbar spurlos verschwunden. Das hat sie ziemlich aufgewühlt."

Blaze bleibt stehen.
Für einen Moment hört man nur das entfernte Lachen der Kinder.
Kein Handy.
Er starrt auf einen unsichtbaren Punkt am Boden, während sich in seinem Inneren eine Mischung aus Erleichterung und Scham breitmacht.
Erleichterung, weil sie ihn vielleicht nicht absichtlich ignoriert.
Und Scham, weil er es ihr zugetraut hat. ... noch tut? Boom hat gesagt... aber das ist... aber...
„Scheisse“, murmelt er leise.
Die Erkenntnis, tut auf eine neue Art weh. Weil es alles, was er gefühlt hat, nicht besser macht. Sondern nur sinnlos. Den Gednaken hätte er auch selbst haben können. Wie verfickt traurig ist es, dass ghosten naheliegender ist als sein scheiss Handy zu verlieren...? Du bist so ein Vollpfosten. Nein. Ein beschissener Vollpfosten. Nein. Ein verfickt, beschissen, dummer, dreckiger, Kackpfosten.
„Okay“, sagt er wie ausgestöpselt. Mehr kommt erst mal nicht.




Gereons Mimik ist vollkommen neutral, während er dem Größeren beim Denken zusieht. Von ihm unbemerkt schüttelt er leicht den Kopf, als würde er einen nervenden Gedanken vertreiben. Doch sie gibt nicht nach. Verzweiflung drängt sich unter seine Haut. "Nicht jetzt.", flüstert er hinter kaum bewegten Lippen. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Alles ist zu viel. Bevor er sich darauf einlassen kann, muss er sich ordnen. Sie kennt ihn jetzt. Es wird Gelegenheiten geben.

Blaze atmet durch die Nase aus, langgezogen, als wolle er alles aus sich rauspressen. Sammelt sich. Schaut auf. „Eine Chance, dass die da drin mir sagen wo sie jetzt ist?“

Von dem inneren Drängen abgelenkt, reagiert Gereon verzögert. Vor seinem geistigen Auge dreht sich ein undeutliches Bild, als hätte man es auf einem Kreisel aufgespießt. Es kracht laut in seinen Ohren, bis sein Kopfrucken ihn aufsehen und den hoffenden Blick des Anderen einfangen lässt. "Das ... würde mich überraschen.", sagt er unkonzentriert. "Aber ..." Er hebt die Mütze an, fährt sich durch die Locken und setzt das alte Erbstück wieder auf. "Vielleicht geben sie ihr deine Nummer. Nur so eine Idee."

„Ist alles okay?“ fragt Blaze zögernd. Aber es klingt mehr nach einer Pflichtfrage, während er sich gedanklich schon verabschiedet hat und auf dem Weg zurück zum Eingang ist.

Ein aufbauendes Lächeln huscht über Gereons Gesicht. "Ja. Es geht ihnen gut.", nickt er. Es sind zwei, begreift er. Vielleicht sogar mehr.

Blaze hört kaum zu. Seine Gedanken sind längst beim Heimleiter. Er klopft dem Jüngeren kurz mit der Handfläche auf den Oberarm, sagt „Danke Mann.“ und dreht sich um, um den Securitytyp anzusteuern.

---------------

Der Securitymann klopft an einer Tür die kurz darauf aufgeht und der Mann den Blaze in Brindleton schon ‚kennengelernt‘ hat öffnet sie.
„Der junge Mann hat ein Anliegen zu besprechen“, sagt der Sicherheitsdienst, „Ich bin dann wieder draussen“, und geht den Gang wieder hinab. Blaze sieht Karde an, wartet auf seine Reaktion.

Überrascht, aber freundlich bittet Holger den Jungen herein und deutet ihm, Platz zu nehmen. "Damit habe ich nicht gerechnet. Was kann ich dir tun?", fragt er, als er sich selbst an seinen Tisch setzt.



Blaze tritt ein, die Hände in den Tschen. Im Büro riecht es nach alten Büchern, Staub und irgendwas süßlichem was er nicht einordnen kann. Er setzt sich nicht. Sieht Karde an. Er könnte jetzt direkt den Vorschlag des Jungen umsetzen aber er muss es anders versuchen. "Ich suche Dennah. Wo ist sie?" fragt er in der Hoffnung, da der Mann ihn schon mit ihr gesehen hat - ihr Kuss... - er einen Vertrauensbonus bekommt.

Holgers Stirn legt sich in Falten. Das hat er befürchtet. Was sollte der Junge sonst hier wollen? Einen Moment nach diplomatischen Worten suchend, entscheidet er sich für Ehrlichkeit. "Du bringst mich in eine schwierige Lage. Von Rechtswegen her, darf ich dir diese Information nicht geben. Aber ich verstehe natürlich, dass es dir ein wichtiges Anliegen ist. Euch beiden." Eine flache Hand streicht nachdenkend über den Seitenscheitel. "Wir werden uns einen Kompromiss überlegen müssen."

Blaze starrt ihn unbeeindruckt an, wirkt aber ein wenig verloren mit den Händen in den Taschen und nicht ganz geradem Rücken. "Wo ist das Problem? Wenn ich es schaffe mich mit ihr zu unterhalten, dann sagt sie mir sowieso wo sie ist. Den Umweg können wir uns doch auch einfach sparen, oder nich...?" Es sticht ein wenig in der Brust. Sie hat kein Handy. Das heisst aber nicht, dass Boom nicht doch auch Recht haben könnte.



"Das Problem ist, dass ich der Schweigepflicht unterliege." Ernst sieht Holger zu dem Jugendlichen auf. Er würde ihm gern helfen, aber er kennt den Burschen nicht. "Wenn jemand erfährt, dass ich dir erzählt habe, wo Dennah untergebracht wurde, bekomme ich eine Menge Ärger." Die Arme vor der Brust verschränkend lehnt er sich im Sessel zurück. "Du solltest dir nicht so viele Sorgen machen und dich entspannen. Vielleicht in Urlaub fahren. Tartosa soll zu dieser Jahreszeit sehr schön sein."

"Ich hab bestimmt Besseres zu tun, als jemandem zu sagen, dass die Info von Ihnen kommt, das..." Blaze mustert den Mann, sieht den Blick der sich verändert hat, die kaum merklich gehobenen Brauen. Blaze schluckt. Nicht erschrocken aber nachdenklich. Das klingt nach Nadel im Heuhaufen... Vorsichtig holt er Luft und sagt, "Kann ich ihr wenigstens was ausrichten lassen?"

Holger nickt. Es tut ihm leid, dass er nicht mehr tun kann.



"Okay und..." Blaze stockt kurz. Nickt er weil er es nicht aussprechen darf? Er nimmt die Hände aus den Taschen und tritt näher an den Schreibtisch. "Haben Sie n Stift und n Briefumschlag?"

"Natürlich." Ohne zögern, greift Holger in eine der Schubladen, legt Papier, Umschlag und einen Kugelschreiber auf dem Tisch ab. Den Stuhl nach hinten abrollend, steht er auf und wendet Blaze den Rücken zu, um dem fröhlichen Treiben im Garten zuzusehen. "Manche Vorschriften ergeben mehr Sinn, als andere.", denkt er laut. "Das mag uns nicht gefallen, aber trotzdem müssen wir uns daran halten."

Balze beobachtet ihn, dann nimmt er den Stift in die Hand, zieht das Papier zu sich. Dabei überlegt er nicht lang, schreibt seine Nummer drauf, unterschreibt mit Blaze und faltet den Wisch zwei mal. Dabei fängt sein Herz an zu klopfen - er ist so nah dran. Hektisch schiebt er das Papier in den Umschlag, reißt den Schutz des Klebestreifens ab und verschließt den Brief unumkehrbar. Dann legt er ihn vor Kardes Platz auf die Tatstatur und tritt rückwärts zur Tür. Jetzt braucht er nur noch darauf zu vertrauen das der Kerl auch tut was er soll... und dass es in Tartosa noch Telefonzellen gibt, sollte sie in einem technikfeindlichen Haushalt gefangen sein. ... Und dass sie sich nicht schon neue Freunde gesucht hat... "Danke." sagt Blaze und greift die Klinke. Er will noch etwas hinzufügen aber der Moment verstreicht und dann steht er draussen.



Das Büro wirkt still, als die Tür sich schließt. Beinahe so, als hätte der Junge etwas mit hinausgenommen, dessen Aura nun fehlt.
Holger sieht den Umschlag auf der Tastatur, nimmt den Stift und notiert Dennahs Namen darauf. Aus der Akte sucht er die Anschrift, setzt sie betont leserlich darunter und legt den Umschlag in das Fach mit der Beschriftung 'Postausgang'. Die Frühschicht wird den Stapel wie jeden Morgen dem Boten mitgeben. Zufrieden lächelt Holger. Es fühlt sich gut an, ein junges Glück zu unterstützen.

(In Zusammenarbeit mit @RivaBabylon )

>>> Gereon geht nach Del Sol Valley Nr. 1 - The Black 'n' Red Theater >>>
>>> Blaze geht nach San Sequoia - Haus S. Schmidt (2) >>>


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18.04.2025 13:44 (zuletzt bearbeitet: 19.04.2025 16:34)
#17
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Textmagier

<<< Boom kommt von San Sequoia - Haus S. Schmidt (2) <<<


Charaktere: Boom Boom
Geschichtsstrang: Auf der Suche


Nach Mitternacht erreicht Boom Boom die Straße, in der alles angefangen hat. Hier sind sie zu dritt bei den Schnöseln eingestiegen. Es fühlt sich an, als wäre es eine Ewigkeit her. Beinahe ein anderes Leben. In diesem Fall mag das sogar zutreffen. Schließlich war sie zu dem Zeitpunkt noch sterblich. Nun ist sie ein Vampir. Mit Fähigkeiten, die sie erst vor Kurzem entdeckt hat. Tagelang hatte sie versucht, sich in eine Flugratte zu verwandeln und sich der Erkenntnis ergeben, dass diese Gabe ihr nicht vergönnt ist. Stattdessen geschah es vor einigen Nächten, dass sie sich plötzlich, vollkommen unerwartet, zwischen zwei Orten teleportierte. Seither übt sie. Außerhalb des Hauses, unbeobachtet. Je weniger Leute davon mitbekommen, desto besser, denkt sie sich.
Heute Nacht wagt sie einen ersten Versuch, die Fähigkeit zu nutzen. Von ihrem ersten Besuch weiß sie, dass sich im Haus und am Eingang Kameras befinden. Das Büro muss irgendwo im hinteren Bereich liegen. Durch den Blick in die Fenster erhofft sie sich genauere Eindrücke. Sie muss wissen, wo sie sich hin teleportieren kann, um nicht in einer Falle zu landen.



Von hinten schleicht sie sich an die Mauern des Waisenhauses heran. In den Garten zu gelangen, dürfte ein Leichtes sein. Aus Übungszwecken spart sie sich die Mühe des Kletterns. Mit etwas Konzentration und der richtigen Vorstellungskraft setzt das Kribbeln in ihrem Körper ein. Wie ein ganzheitliches Niesen schießt es durch ihre Glieder - eine Sekunde Schwerelosigkeit - und voilá - sie materialisiert auf der anderen Seite der Mauer. Prüfend betrachtet sie die Hauswand. Keine Installationen zu erkennen. Sie tritt näher, späht durch die Fenster. Eine Bibliothek, Arbeitsplätze - da ist es. Das ist beinahe zu einfach. Einen Moment prägt sie sich das Innere des Raumes ein, ehe sie zum Sprung ansetzt.
Einen Wimpernschlag später steht sie zwischen Schreibtisch und Kommoden. Das ist so eine geile Power!
Im Dunkeln sieht sie sich um. Okay, dann wollen wir doch mal schauen... Sie muss unbedingt wissen, wo die Bitch untergebracht haben. Blaze hatte vor einigen Stunden berichtet, dass sie das Waisenhaus verlassen hat.
"Ich werd mich da mal umsehen. Vielleicht finde ich was raus." Aufmunternd hatte sie ihm auf die Schulter geklopft. Als Zeichen ihrer Unterstützung. Weil er sie doch so schrecklich vermisst.
Einem Teil von ihr tut es leid, dass sie einen Keil zwischen die beiden treiben muss. Mit Blaze' Opferbereitschaft hätten sie ein gutes Dreiergespann werden können. Aber sie kann einfach nicht gestatten, dass er Bitch vor sie stellt. Er lebt in ihrem scheiß Haus, von ihrer Kohle in ihrer Truppe. Er wird nicht die Rangordnung infrage stellen, oder gar zerstören. Das alte Hoffnungsviertel gehört jetzt ihr. Ganz Sequoia wird bald ihrs sein. Und jeder, der darin herumläuft, hat sich dem zu fügen - oder kann sich verpissen. Außer Bitch. Boom Boom weiß um die Anziehungskraft ihrer ältesten Freundin. Das ist wie eine Superkraft. Eine verdammte Geheimwaffe. Naja, geheim ... Bitch ist eine Waffe. Sie muss sie finden. Am besten bevor Weichbirne an sie ran kommt.



Boom Booms Blick schweift durch den Raum. In einem dieser Schränke werden die Akten liegen. Die Bücherregale außer Acht lassend, beginnt sie zielstrebig mit den halbhohen Kommoden unter den Fenstern. Bingo. A, B, C, D - Darius, Debassino, ah, da ist sie - Delany. Die Mappe aufschlagend, lässt Boom Boom sich in dem Bonzensessel fallen, dass er sich zwei mal um die eigene Achse dreht. 'Geboren, Mutter, Vater, zuletzt wohnhaft, blablaaaaangweilig ... schulische Leistungen ungenügend, Abschluss nicht möglich, Versetzung stark gefährdet. - Häufige unerklärte Abwesenheit, Eigentumsenteignungen. Zeigt keine bis wenig Einsicht in Fehlverhalten.'
Mit spitzen Fingern blättert sie auf die zweite Seite.
'Vermehrt aufgefallen durch emotionale Ausbrüche, bewusste und provozierte Regel- und Grenzüberschreitungen,', ein breites Grinsen stiehlt sich auf Boom Booms Gesicht, 'sexuell erregende Handlungen. Gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper und dessen Zurschaustellung.' "Pfffft!" Das ist ja lächerlich. Einige Abschnitte überfliegend, bleibt ihr Blick auf einem Ausdruck mit Briefkopf hängen. 'Strafprozessvollmacht - im Fall Dennah Delany gegen Stephen Schmitt - Falschaussage - Selbstanzeige - Anwalt José Gracia-Lopez'.
Boom Boom legt die Akte auf dem Tisch ab und zückt ihr Handy, um das Dokument zu fotografieren. Vielleicht ist das noch nützlich. Weiter blätternd stößt sie schließlich auf die gesuchte Versorgungsvollmacht durch Pflegefamilie Falck, wohnhaft in Tartosa. Hab ich dich. Ein weiteres Foto. Zufrieden klappt sie die Akte zu, als ihr Blick flüchtig über den Tisch streift - und von einem bekannten Namen angezogen wird, handschriftlich auf einem Briefumschlag notiert. Die Adresse der Familie folgt Dennahs Namen. Was schicken die ihr denn zu? Ohne zu überlegen, greift Boom Boom nach dem Umschlag und reißt ihn auf. Ihre Brauen ziehen verwundert in die Stirn, als sie die Notiz ließt.



Blaze Telefonnummer?! Sieh an. Das hat Weichbirne ihr aber nicht verraten. Kurzerhand schiebt sie den Zettel zurück in den Umschlag, faltet alles zwei mal und lässt es in der Hosentasche verschwinden. Denkste. Soweit kommts noch. Mit dem wundervollen Gefühl der Überlegenheit erhebt sich Boom Boom auf dem Sessel, schiebt ihn sorgsam in die Ausgangsposition und steckt die Akte zurück, ehe sie sich aus dem Gebäude hinaus teleportiert. Nächster Halt - Shoppingcenter.


>>> Boom geht nach Tartosa - Haus Fam. Falck Sr. >>>


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